Start Magazin Menschen Moment mal…

Moment mal…

Das „SchichtWerk“ hinter dem Vorhang der Zeit

367
0
TEILEN
Das jülicher Kunstatelier | Foto: Schichtwerk
Diplom Designer Pia von Amen und Sunita Gupta | Foto: Schichtwerk
- Anzeige -

Neusser Straße 24. Hier stand ich schon einmal. Damals muss ich so etwa im achten Schuljahr gewesen sein. Und war leider ziemlich schlecht in Mathe. Also bekam ich Nachhilfestunden. In genau diesem Haus. Ich erinnere mich noch, dass die riesige Fensterfront unten rechts im Objekt eine gewisse Anziehungskraft auf mich ausgeübt hat. Sie war mit dunklen Vorhängen zugezogen. Kein Blick in den großen Raum war möglich. Der von den dichten Vorhängen geschützte Raum mit den vielen Fensterflächen wurde, nachdem die Schalterhalle der Landeszentralbank geräumt worden war, lange Jahre nicht mehr zweckgebunden genutzt.

Ein Glück, dass vor vier Jahren meine liebe Schulfreundin, die Diplom-Designerin Pia von Ameln, gemeinsam mit ihrer langjährigen Geschäftspartnerin Sunita Gupta den jetzigen Besitzer, Rechtsanwalt Dr. Beck, überzeugen konnten, den Raum einem neuen Zweck zuzuführen. Er hatte die dicken Vorhänge bereits entsorgt. Die deckenhohen Fensterfronten zu beiden Seiten brachten einen lichtdurchfluteten Raum zum Vorschein. Ideal für ein Künstler-Atelier. Die Jülicher Künstlerinnen waren sofort verliebt in diesen Raum, der die beiden an die Geburtsstunde ihrer künstlerischen Karriere erinnerte: Das Gebäude des Fachbereichs Design der FH Aachen. Und so empfinden sie es als Geschenk, hier arbeiten zu können.

- Anzeige -

Zeit für mich, mal nachzuschauen, was nun wirklich in diesem Raum passiert.

Und heute darf ich den beiden also bei der Arbeit über die Schulter schauen. Jede arbeitet auf einer Seite eines großen Tisches, und immer mal wieder geben sie sich Ratschläge oder fragen danach. Das geschieht so unaufgeregt und unprätentiös, dass ich ihre Seelenverwandtschaft spüre. Angefangen hat die Symbiose bereits vor 30 Jahren in der Bleiberger Fabrik in Aachen, wo die damals 14-jährigen Schülerinnen an einer Werkwoche teilgenommen hatten. Es entwickelte sich eine Freundschaft, die sich als so tragfähig erwies, dass die beiden sich bereits während des Studiums gemeinsam selbstständig machten und ihre Zusammenarbeit in all den Jahren zwar immer wieder veränderten, aber nie beendeten.

Sie waren viele Jahre als Grafikdesignerinnen tätig und haben unter anderem das Jülicher Stadtlogo entworfen. Die beiden erzählen von den vielen Mosaiksteinen, die nach und nach dazu führten, dass sie weit über Jülichs Grenzen hinaus bekannt und anerkannt wurden. Irgendwann nach der Jahrtausendwende spürten sie den Drang zur Veränderung, zu neuen Herausforderungen. Es war eine gemeinsame Herzensentscheidung, nach 15 Jahren Design-Büro wieder den Weg des Künstlerischen einzuschlagen. Und so gründeten sie 2006 das gemeinsame Unternehmen „Fjell”. Das Signet „Fjell“ stehe für „Fläche im Raum”. Viel Fläche, die zur Gestaltung einlade, so Pia von Ameln.

Thematisch bewegt sich bereits seit der Gründung von „Fjell“ für die beiden alles rund um den „Moment“. Ergeben hat sich das über die Jahre des Schaffens, aber auch des philosophischen und literarischen Austauschs. In einem speziellen Ordner sammeln sie Literaturzitate zum Thema „Zeit“. Sunita Gupta erklärt, dass diese Zitate innere Bilder auslösen, die dann vielschichtig – und dies ist wörtlich gemeint – in der Kunst visualisiert werden. So habe etwa ein Zitat Attila Jószefs sie zu Landschaftsbildern angeregt, die man bei der diesjährigen Adventsausstellung sehen kann: „Mir scheint, ich schau seit hunderttausend Jahren schon, was plötzlich in mein Blickfeld schneit.“ Wenn die Betrachter dann die Kunstwerke sehen, freuen sich die beiden Künstlerinnen, wenn etwas von diesen Assoziationen sichtbar wird, halten dies aber nicht für notwendig. Die Bilder können beim Betrachter wieder andere „Schichten“ auslösen.

Wo der „Moment“ den thematischen Rahmen vorgibt, so liefern „Schichten“ den formalen. Die diesjährige Adventsausstellung trägt den Titel „SchichtWerk“. Pia von Ameln und Sunita Gupta experimentieren mit Materialschichtung. Lasierend überlagernde Farbschichten aus Acryl und Ölkreiden, aber auch Stoffe, Pappe oder Glas werden übereinander gelagert. Dann schneiden sie auch mal Schichten auf oder kratzen sie wieder ab.

Und während bei der letzten Adventsausstellung der Moment zwischen dem „noch nicht“ und dem „nicht mehr“ als klarer Schnitt fokussiert wurde, wollen die beiden Künstlerinnen in diesem Jahr den Moment des Treffens zwischen Vergangenheit und Zukunft als amorphen Übergang betonen. Als Augenblick, der zwar letztlich nicht greifbar, aber in seiner Vielschichtigkeit von ungeheurem Interesse sei.

Die Schaffenskraft der beiden erlahmt auch in familiären Erholungsphasen nicht. Sunita Gupta erzählt mir, dass ihr auf der Luftmatratze im Sommerurlaub bereits Ideen für neue Szenen des bereits beliebten Liebespaars Engel und Weihnachtsmann gekommen seien. Waren die beiden vor vier Jahren noch heftig ineinander verliebt, haben sie in der Zwischenzeit die typischen Höhen und Tiefen einer sich festigenden Partnerschaft erleben müssen. Wie es ihnen in diesem Jahr geht, das muss der Besucher der Adventstausstellung selbst herausfinden. Dann besteht die Möglichkeit, besondere Weihnachtsdeko und Postkarten mit Engel und Weihnachtsmann zu kaufen. Aber auch Wunschbilder und Auftragsarbeiten können hier besprochen werden.

Wer sich bereits vorab einen Eindruck verschaffen möchte, der kann aktuelle Arbeiten auf dem Fjellblog betrachten unter www.fjelldesignblog.com.

Mein Besuch im Atelier endet. Ich verstehe jetzt sehr gut, wieso die beiden Jülicher Künstlerinnen so begeistert von diesem Raum sind. Gut, dass die dichten Vorhänge verschwunden sind und Einblicke ins „SchichtWerk“ ermöglicht haben.

Während ich diesen Text schreibe, überlege ich, ob mir vielleicht noch die ein oder andere Schicht verborgen geblieben ist. Nun, der alte Panzerschrank der Landeszentralbank war bei meinem Besuch verschlossen…

Ausstellung | So 30|11 + 07|12 + 14|12

Fjell Design | Kanzlei Dr. Beck | Neusser Str. 24 – ehemalige Schalterhalle der Landeszentralbank | 11:00 – 17:00 Uhr


§ 1 Der Kommentar entspricht im Printprodukt dem Leserbrief. Erwartet wird, dass die Schreiber von Kommentaren diese mit ihren Klarnamen unterzeichnen.
§ 2 Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.
§ 3 Eine Veröffentlichung wird verweigert, wenn der Schreiber nicht zu identifizieren ist und sich aus der Veröffentlichung des Kommentares aus den §§< 824 BGB (Kreditgefährdung) und 186 StGB (üble Nachrede) ergibt.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here