Nach dem Krieg ist vor dem Krieg? Der Blick in die Medien scheint das zu bestätigen, dabei gab es einmal so etwas wie eine Friedensbewegung. 1982 Demo in Bonn, im Hofgarten, am Mikrofon Petra Kelly , Heinrich Böll, Günter Grass. Das kommt mir heute so historisch vor wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, dabei bin ich unten in der Menge gewesen. Und nicht nur dort.
Wir hatten zu dritt in Köln ein Kunstprojekt aus der Taufe gehoben, Ausstellungen, Theater, Kleinkunst. In der Roonstraße, gibt es heute noch, das atelier theater. Und egal ob Zeitgeist oder Mode, die Friedensbewegung hatte uns am Wickel und wir schrieben eine Wanderausstellung in NL/D zum Thema aus, bildende Kunst und Literatur. Die Texte sollten im Fotosatz auf Tafeln gezogen (PC war noch nicht) und dann wie Exponate in die Ausstellungen gehängt werden.
Wir besorgten uns die Alte Mensa als Ausstellungsraum, sie bot auch noch Platz für die Bühne mit dem Rahmenprogramm, Musik, Kabarett, Theater. Das Kulturamt Köln schoss einen größeren Betrag zu, die Subskription des Katalogs und die Abendkasse sollten das nicht unerhebliche Defizit decken. Wir hatten die in Frage kommenden Künstler und den niederländischen Berufsverband gewonnen und von der gewerkschaftsnahen SJD Die Falken einen überlangen Ford Transit, himmelblau mit rotem Logo geliehen und machten uns daran, die Kunst einzusammeln. Berlin, damals die Hochburg des kritischen Realismus, war die erste Station. Der Transit war ein geräumiges Möbel und wir passten alle drei auf die durchgehende Sitzbank des Fahrerhauses. Wir drehten die Scheiben runter und die Anlage auf, ZZ Top, Jesus just left Chicago und ließen die Haare und die karierten Hemden flattern. 30 ist ein schönes Alter.
Damals gab es noch die DDR. Die Vopos kontrollierten die Papiere, wir hatten keine Fracht und sie winkten uns durch. Auf der halben Strecke gab es einen Intershop, Waren gegen Westwährung zu Spottpreisen, wo wir eine 2 Liter Flasche mit Slibowitz sowie eine Kiste Krimsekt aus dem Regal zogen, wir würden zu feiern haben. Auf den Autobahnen der DDR galt absolutes Alkoholverbot, aber der Fahrer musste partout den Pflaumenschnaps probieren und hob die 2 Liter Buddel in dem Moment an den Mund, als wir auf dem Randstreifen einen Vopo passierten, dessen Gesicht uns unter Hammer und Zirkel der Schirmmütze entgeistert nachblickte.
Nun war unser Fahrzeug schon auffällig, es hätte vermutlich nicht einmal des Nummernschildes bedurft, um uns zu identifizieren, aber die IT Branche steckte noch in den Anfängen. Da war kein Walkie-Talkie, der Beamte stand kleiner werdend mit hängenden Armen da und wir witzelten über Radarfallen mit Magnesiumblitz und Brieftaubendepeschen, wechselten den Fahrer wegen dessen Fahne aus und konnten ohne Probleme nach Westberlin einfahren.
Bei der Ausfahrt war das dann anders. Wir hatten Unmengen verpackter Bilder als Fracht, darunter damalige Berühmtheiten wie Diehl, Pettrick, Sorge, sogar Kurt Mühlenhaupt. Der galt damals als der Nachfolger von Heinrich Zille, ein Malerpoet, der als Trödelhändler und Leierkastenmann durch Berlin zog und für den Unterhalt seiner Familie die Kreuzberger Kneipe Der Leierkasten führte. Die war so angesagt, dass dort Berühmtheiten wie Max Frisch oder Henry Miller verkehrten, da musste ich dann wohl auch hin. Nach einigen Berliner Mollen ging ich noch durch das Viertel, von der Spree her zog Nebel auf, der sich wie Säcke an die Laternen hängte. Es war eigentümlich still, mein Tritt hallte vom Pflaster, als ich hinter einer erloschenen Schultheiß Leuchtreklame vor einer Wand stand. Doch zu viel Molle. Ich suchte rechts und links die Querstraße, die ich im Nebel übersehen haben musste, aber da gab es keine. Die Straße war zugemauert, das war die Mauer.
Als Schauspieler hatte Mühlenhaupt sein Debüt in Schamonis Quartett im Bett, das Motto: Klatsch, klatsch Schenkelchen, Opa wünscht sich Enkelchen. Tiefstes 68 mit Insterburg & Co. Auf Youtube findet man noch den Trailer des Films. Mühlenhaupt hatte seinen Alterssitz, eine Art Hazienda im Havelbogen, unweit vom Metallgitterzaun und den Grenztürmen. Ein Bauer pflügte draußen noch mit dem Pferd die märkische Moränenlandschaft, während der Künstler jedem von uns ein Selbstporträt mit Widmung in sein neu erschienenes Buch zeichnete.
Mit all dem standen wir am Checkpoint. Wir hatten auch das mehrseitige Carnet penibel ausgefüllt, hatten Packen für Packen nummeriert und auf der Versicherungsliste aufgeführt, trotzdem hieß es: Aussteigen, ausladen, auspacken. Ein Vopo hielt seinen Hund an der kurzen Leine und wir packten aus und machten an der Plattenwand des Grenzgebäudes ein Preview. All das engagiert Gemalte stand nun mit seiner harmlosen Herzensgüte nicht nur an der DDR Grenze, sondern auch schon an der zur Satire, dass einer der Vopos zu witzeln anfing, so sächsisch komisch, dass wir, ob kariert oder uniformiert, aus unseren Rollen fielen und gemeinsam loslachten.
In der BRD wurde es schon dunkel und wir rumpelten auf den Betonplatten die damals völlig verödete A2 in Richtung Rhein, manchmal für Minuten ohne ein einziges Fahrzeug im Rückspiegel. Hinter Braunschweig wurde es Nacht. Wir suchten uns durch die Senderwahl bei Stimmung zu halten, als im Rückspiegel Scheinwerfer näher kamen, uns überholten und uns eine Kelle aufforderte, rechts heranzufahren.
Natürlich waren die Zwillingsreifen der Hinterachse abgefahren. Der Fahrer kurbelte die Scheibe runter und reichte die Papiere raus. Die Taschenlampe wanderte über die Papiere, das Passfoto und dann in das Gesicht des Fahrers. Dann ein Aufschrei der Streife, Mensch Uli, das gibt’s doch nicht und der Fahrer, Gottfried, ich glaub es nicht, worauf sich beide durch das Seitenfenster um den Hals fielen. Unser Fahrer war, bevor er zum Kabarett wechselte, Polizeimeister gewesen. Sie kannten sich von der Polizeischule in Linnich her.
So gegen 4 Uhr ging es über den Rhein. Die Bilder und Skulpturen schleppten wir wegen der Versicherung noch die steile Ateliertreppe hinab. Die nächste Station würde Rotterdam sein, davon mehr im nächsten Herzog.