Schüchtern? Zurückhaltend? Ein Broterwerb, der mit nüchternem Zahlenwerk zu tun hatte und mit Diagrammen und Präsentationen derselben? Das passt irgendwie nicht zu dem Mann, der hier gegenüber sitzt. Mann und Frau kennen ihn von den Bühnen im Jülicher Land – oft strahlend, aber immer mit Ausstrahlung. Bert Voiss. Muttkrat, Darsteller und Schauspieler.
„Das Theaterleben hat viel mit mir gemacht“, sagt Bert Voiss. „Es hat mich selbstsicher gemacht.“ Als Brandner Kaspar entlockt er dem Tod noch etwas Lebenszeit, er ist der mächtig-intriganter Kardinal Richelieu bei der Musketieren, Verleger, selbstgefällige, windige Ehemann Jack in Mord am Pool – die Rollen, die Bert Voiss als Laiendarsteller gespielt hat, sind vielfältig. Längst ist er den heimischen Grenzen entwachsen, die die gebürtige Muttkraat immer nur für kurze wohnortbeingte Zwischenspiele in Richtung Düren und Eifel verlassen hat. Er mimt in Aachen beim Theater Ludus, und ist im Kölner Schauspielhaus als Statist in Produktionen zu sehen.
Angefangen hat für den Betriebswirt als Zuschauer 1981 bei der Bühne ‘80 im Kirchberger Lindenhof, als er einen Zettel in die Hand bekam, auf dem Stand, dass noch Ensemblemitglieder gesucht würden. Es war Liebe schon beim ersten Wort, die in diesem Jahr mit dem Ensemble beim 40. Vereinsjubiläum der Laienspielbühne hätten gefeiert werden sollen. „Das passt doch gar nicht“, hätten seine Kollegen im Büro gesagt. „Eben!“, erwidert Bert Voiss, „Es ist ein großer Kontrast, Es ist ein ganz anders Leben.“ Wechselwirkungen gab es dennoch, denn auch bei Präsentationen im Beruf habe ihm das Theaterspiel gute Dienste getan, zum Beispiel bei Präsentationen. „Obwohl eigene Werke zu präsentieren viel, viel schwieriger ist, als Worte, die ein andere Mensch aufgeschrieben hat und die Du nur auswendig gelernt hast. Das ist schon ein Unterschied.“
Genau erinnern kann er sich noch an seine erste Aufführung. Es waren „Die drei Zwillinge“, das zweite Stück der Bühne ‘80. „Mein Auftritt war ungefähr eine viertel Stunde, nachdem das Stück angefangen hat. Ich stand in den Kulissen und wartete auf meinen Auftritt und hatte Bauchschmerzen bis zum dicken Zeh“, dabei strahlt Bert Voiss als wäre dieses Gefühl das schönste auf der Welt. „Ich war so aufgeregt und habe mich gefragt: Warum machst Du das?“. Dann kam das Stichwort, der Schritt auf die Bühne und der erste Beifall. „Und dann lief es wie ein Schauer von oben bis unten durch meinen Körper und ich wusste: Das ist es!“ Seither genießt Bert Voiss die Auftritte und die Aufregung davor: „Das war so ein tolles Gefühl! Wenn ich kein Lampenfieber mehr habe, höre ich auf. Ich genieße dieses Lampenfieber.“
Seit fast 40 Jahren gehört die Schauspielerei zu seinem Leben. Wenigstens bis März diesen Jahres. Derzeit sind die Scheinwerfer aus und die Bretter, die die Welt bedeuten verwaist. Das strahlende Lächeln, das ein Markenzeichen von Bert Voiss ist, macht derzeit eher Sorgenfalten Platz. „Mein Leben hat sich durch Corona in bestimmten Bereichen völlig verändert. Nichts mehr mit Bühne – das vermisse ich sehr“, sagt Voiss mit viel Wehmut in der Stimme. Es fehlen die Begegnung und das gemeinsame agieren auf der Bühne. Besonders arg ist ihm, dass er zwei Premieren hätte feiern können, die jetzt ausgefallen sind. Ebenfalls weggefallen sind die Engagements als Komparse, die Bert Voiss regelmäßig via Internet gesucht hat. Rund 40 Einsätze im Jahr sind es, die er bei ganz unterschiedlichen Produktionen absolviert hat. „Viele gucke ich mir überhaupt nicht an – das sind so Serien, die guckst Du Dir nicht an“ macht eine wegwerfende Handbewegung und verzieht das Gesicht. Und warum macht er es dann? „Es ist Beschäftigung, Du lernst interessante Leute kennen, man verdient ein bisschen was.“ So hat er schon mit Mario Adorf gedreht und Jürgen Vogel, ist neben Bastian Pastewka viele Male im Einsatz gewesen und in der Lindenstraße. Aber das spannendere ist und bleibt die Bühne. Der Grund: „Du bist den ganzen Tag als Komparse dabei. Es wird acht, neun, zehn Stunden gearbeitet und es entstehen zwei Minuten Film. Das ist furchtbar! Das ist keine Schauspielerei, das ist darstellen.“ Auf der Bühne könne man nie alles auf Anfang drehen „Du bist auf der Bühne und spielst.“
Eine Bühne ganz anderer Art besetzt Bert Voiss allerdings immer noch. Dafür war er jüngst in Krakau. Eine Stunde lang sitzt er auf einem Stuhl, raucht eine Zigarre und liest Zeitung. Der Stuhl hängt dabei fünf bis sieben Meter hoch an einer Hauswand. Hier geht es ausschließlich um Ausstrahlung. „Das Banale exponiert darzustellen, so dass Dich alle sehen, das macht unheimlich Spaß“, sagt der Mime und grinst verschmitzt. Hierbei handelt es sich um das Aktionskunstprojekt „x-mal Mensch Stuhl“ von Angie Hiesl und Roland Kaiser aus Köln, die gezielt Menschen über 65 Jahre gesucht haben und inzwischen rund um den Globus mit dieser Aktion unterwegs sind, die auch im Foto festhalten wird. Ein Buch ist bereits veröffentlicht. Auch Bert Voiss ist Teil der Veröffentlichung.
Der umtriebige Rentner mit der Leidenschaft für die Bühne musste nach eigenem Bekenntnis erstmal lernen, „dass Faulsein nix Schlimmes ist“, dass man bei Regen auch einfach auf dem Sofa sitzen, fernsehen, lesen darf oder auch einen Mittagsschlaf halten. Dafür ist die Zeit in den letzten 19 Monaten allerdings auch weniger geworden. Er hat nämlich eine ganz neue „Rolle“ angetreten: Bert Voiss ist nämlich begeisterter und stolzer Großvater. Als solcher verbringt gerne und viel Zeit mit seinem Enkel Ilay und ein großes Strahlen ins Gesicht: „Opa zu sein ist ein ganz neuer Lebensabschnitt. Ich wusste, dass es anders sein wird, aber dass es so schön wird… es ist so toll.“ Das ist eine Rolle, die sicher ausbaufähig bleibt.