Verschiedene mögliche Szenarien für den weiteren Verlauf der Pandemie hat das Forschungszentrum Jülich in Kooperation mit dem Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) berechnet. Dazu wurden unterschiedlich viele und unterschiedlich strikte Shutdown-Perioden für die Zeit bis Mai 2021 angenommen. Die Ergebnisse können hilfreiche Informationen liefern, um die lang- und mittelfristige Auswirkung von unterschiedlich starker Kontaktreduktion auf das Infektionsgeschehen zu betrachten; die Wirksamkeit konkreter politischer Vorgaben lässt sich mit ihrer Hilfe nicht unmittelbar ableiten.
Die Simulationen geben an, wie viele täglich gemeldete Neuinfektionen im jeweiligen Szenario zu erwarten sind, und wie viele Intensivbetten für die Versorgung der Patienten gemäß der Vorhersage erforderlich würden. Die Ergebnisse legen nahe, dass der vierwöchige „Lockdown Light“ im November allein nicht ausreichen könnte, um eine dritte, noch deutlich stärkere Covid-19-Welle im Winter zu vermeiden, wenn danach alle Maßnahmen dieses „Lockdown“ aufgehoben werden sollten. Die Einführung von ein bis zwei weiteren zweiwöchigen Shutdown-Perioden im Winter und Frühjahr als „Wellenbrecher“ könnte es dagegen ermöglichen, Grundaktivitäten aufrecht zu erhalten und die Covid-19-Wellen unter Kontrolle zu halten.
Als Alternative zu strikten, zeitlich begrenzten Shutdown-Perioden zeigen die Simulationen, dass auch dauerhaft geltende, weniger einschränkende Maßnahmen, wie sie vielerorts bereits vor dem „Lockdown Light“ eingeführt wurden, geeignet sein könnten, um die Epidemie in Deutschland dauerhaft einzudämmen.
„Unsere langfristigen Szenario-Modellierungen sind qualitativ zu verstehen und beanspruchen nicht, den realen Verlauf exakt vorherzusagen“, sagt Dr. Jan Fuhrmann vom Simulation Lab Epidemiology and Pandemic des Jülich Supercomputing Centre (JSC). „Die Szenarien zeigen aber gut auf, wie sich die Epidemie unter verschiedenen Maßnahmen entwickeln würde. Wir betonen, dass die in den Simulationen vorhergesagten, teils sehr hohen Fallzahlen nur dann eintreten, wenn entsprechende weitere, zur Eindämmung notwendige Maßnahmen nicht getroffen werden. Das wären zum Beispiel lokal begrenzte Shutdown-Perioden, die in den Szenarien bisher nicht berücksichtigt werden,“ erklärt Jan Fuhrmann, der die Entwicklung der Corona-Epidemie in Zusammenarbeit mit Dr. Maria Barbarossa vom Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) berechnet hat.
Was bedeutet „Soft / Strong / Severe Shutdown“?
Die Unterscheidung zwischen „Soft / Strong / Severe Shutdown“ bezieht sich nicht direkt auf konkrete, real eingeführte Maßnahmen, sondern bezeichnet die für die jeweiligen Szenarien angenommene Kontaktrate im Sinne von „Anzahl der pro Zeiteinheit in der Bevölkerung stattfindende Paar-Kontakte“.
Soft Shutdown: Reduktion der Kontaktrate auf ca. 35% des Werts im Spätsommer, als die Fallzahlen noch niedrig waren
Strong Shutdown: Reduktion der Kontaktrate auf ca. 25% des Werts im Spätsommer (entspricht der Kontaktreduktion, der in der Erklärung der Helmholtz-Gemeinschaft und weiteren Forschungsgemeinschaften gefordert wird)
Severe Shutdown: Reduktion der Kontaktrate auf ca. 15% des Werts im Spätsommer
No Shutdown: Sogenannte Basisreduktion der Kontaktrate auf ca. 60% des Werts im Spätsommer. Dieser Wert wird auch außerhalb der oben beschriebenen Shutdown-Perioden angenommen.
Wie wird der derzeit stattfindende „Lockdown Light“ eingestuft?
Der Effekt des „Lockdown Light“ ist wahrscheinlich zwischen einem „Soft Shutdown“ und einem „Strong Shutdown“ einzuordnen. Prinzipiell ist es sehr schwer, die Wirkung einzelner Maßnahmen vorherzusagen. Insbesondere weil in der Vergangenheit eher Maßnahmen-Pakete als einzelne Maßnahmen angewendet wurden. Aus den Fallzahlen ist die Wirkung einzelner Maßnahmen daher nicht abzuschätzen. Wir geben deshalb nur Szenarien unter der Annahme verschieden starker Kontaktreduktionen an. Besonders das Verhalten der Bevölkerung angesichts der bekannten Zahlen und politischer Vorgaben lässt sich nur schwer abschätzen.