Dass jemand Luft für uns ist, das meinen wir als eine Herabwürdigung und Ähnliches gilt auch für Luftschlösser, Luftikusse oder Hans guck in die Luft. Die Luft steht offensichtlich nicht hoch im Kurs. Selbst der von mir sehr verehrte Heinrich Heine dichtete: Die Franzosen beherrschen das Land, das Wasser beherrschen die Britten, doch Deutschland hat im Luftreich des Traums die Herrschaft unbestritten. Und das von einem Dichter wie Heine, der artgerecht im Pariser Exil von Luft und Liebe lebte, um dort am Ende in Armut und an der Syphilis zu sterben. Das Luftreich der Phantasie und des Geistes ist doch das Terrain, in dem er wurzelt und dessen Akkreditierung er trägt. Wenn nun sogar der Dichter dem luftigen Element abschwört, wer bliebe dann noch, es zu vertreten?
Bei dieser allgemeinen Geringschätzung ist es nachvollziehbar, dass das Luftreich irgendwann einknickte, seine Grenzen unsicher wurden, es sich geradezu materialisierte und mittlerweile so erdhaft verdichtet hat, dass ab dem 1. Juli 2014 auch die gelbe Schadstoffplakette nicht mehr ausreicht, um die Umweltzonen der Ballungszentren zu befahren. Dicke Luft… Sie kann uns offensichtlich auch ausgehen. Eigenartig, dass ein Stoff, ohne den man nicht eine Minute überleben kann, solche Geringschätzung erfährt, Ähnliches gilt für das Verwässern. Die antiken Griechen, immer zur Stelle, wenn es darum ginge menschlich Problematisches an einer Figur zu verdeutlichen, schufen den König Midas. Der wünschte, dass alles, was er berühre, sich in Gold verwandeln möge. Der Wunsch wurde ihm erfüllt, was ihm bekanntlich nicht gut bekommen ist. Sein Spiegelbild finden wir im Ikarus, der immer höher hinaus in die Lüfte will und sich schließlich zu Tode stürzt.
Dabei könnten doch der praktische Realismus und die freie Phantasie als ein schönes Paar Hand in Hand gehen und wie das Plus und das Minus in der Elektrizität für stetiges Knistern und Spannung sorgen. Stattdessen spalten sich die Lager in Realisten und Phantasten, so als gäbe es Elektriker für den Plus- und für den Minusleiter. Und beide Innungen sind zutiefst zerstritten, Plus tut sich ausschließlich mit Plus, Minus mit Minus zusammen und liegen die Drähte blank, kommt es leicht zum Kurzschluss.
Die Kunst ist luftig und schon die Frühmenschen machten sich mit Mammuten oder Ochsen an Höhlenwänden jenen blauen Dunst vor, der die heutige Geringschätzung der Phantasie begründet haben mag: sie waren schön anzusehen und trösteten, aber sie sättigten nicht. In der heutigen Rundumsättigung konkurrierender Discounter hingegen kann sich Gerhard Richter mit seinen Wolkenbildern diesem Thema mit ganzer Ausschließlichkeit zuwenden, niemand wird ihn anfeinden und einen Einfaltspinsel nennen, eine Wolke ist eine Wolke ist eine Wolke und auch für Reinhard Mey ist die Freiheit über den Wolken so grenzenlos wie seine Tankfüllung begrenzt ist. Man kann bekanntlich auch aus allen Wolken fallen.
Das Plein air hingegen, die Freiluftmalerei, der offene Blick in freier Luft hat mit Luft weniger als mit dem Gegensatz zur Ateliermalerei zu tun. Dieser Widerstreit zwischen Drinnen und Draußen ist eine periodisch immer wieder auftretende Erscheinung, die ganz im Geiste Rousseaus das Künstlerische als ein unmittelbares Erleben auf die Leinwand bringen will. Ein Zurück zur Natur, zum unmittelbar Sinnlichen. Das hört sich zwar ganz gut an, hat aber seine Tücken und ich warne die Enthusiasten! Die Erde dreht sich im Freien deutlich spürbarer als im Atelier, die Sonne wandert am Himmel von Osten nach Westen und mit ihr alle Lichter und Schatten, für den zögerlichen Anfänger ist das die Hölle, bewegte Räumlichkeit in statische Flächigkeit zu übersetzen. Also braucht gerade der Maler des Plein air eine klare Vorstellung dessen, was er zu malen beabsichtigt. Das heißt, er blickt des Öfteren mal nach innen und sieht auch, was gar nicht mehr oder noch nicht zu sehen ist. Wäre das anders, so müsste er sein Tun auf eine täglich eng begrenzte Zeit verlegen und täte er das, so bliebe er vom Wetter nicht verschont, das gestern mit Sonne, heute Regen aufwartet und schon ist es aus mit der naiven Sinnlichkeit. Von Mücken und Zecken ganz zu schweigen.
Als programmatische Bewegung finden wird das Plein air im Impressionismus. Doch schon die nachfolgende Generation fordert alles dort draußen Gesehene als Pünktchen von Grundfarben zu setzen, da sich deren Farbigkeit ohnehin erst im Gehirn mischt, um dort den farbigen Eindruck entstehen zu lassen. Dieser Pointilismus ist die Geißel aller Kunstleistungskurse und für die Malerei so unverzichtbar wie die Kenntnisse der Schallwellen für die Musik.
Folglich sind die meisten Landschaftsbilder nicht in freier Luft, sondern im Atelier entstanden. Selbst der allseits geschätzte C.D. Friedrich malte seine berühmten Kreidefelsen auf Rügen oder „Der Mönch am Meer“ wie alles Übrige auch im Atelier. Dass dieser Maler hier auftaucht ist nicht zufällig, er ist der romantische Maler schlechthin und ob Ruine oder endloser Horizont, alles ist hoch beladen mit Bedeutung und Sinnhaftigkeit. Sieht also der Romantiker gemeinhin mehr als da ist, so sehen andere wiederum eher lückenhaft, so wie jene Polynesier, an deren Stränden James Cook landete. Sie konnten lediglich seine kleinen Ruderboote sehen, während seine riesigen Fregatten ihnen unsichtbar blieben. Diese ankerten zwar in der Reichweite ihrer Einbäume, aber außerhalb ihrer Vorstellungen.
Die neuere Hirnforschung bestätigt das. Was unsere Vorstellungen übersteigt, nehmen wir nicht wahr, dafür sehen wir zum Ausgleich da draußen alles Mögliche, was seinen Ursprung in unserer Einbildung hat. Die Tücken eines Gehirns, in dessen neuronalen Netzen wir uns verheddert haben und in den Maschen von Innen und Außen zappeln. Auch die sympathisch linkischen Protagonisten Woody Allens finden da nicht mehr hinaus. Du kannst nicht zwei Pferde mit einem Hintern reiten, ist sein Kommentar zu dieser nicht kompatiblen Außenwelt der Realität, aber so konstatiert er resignierend, sie ist nun einmal der einzige Ort, an dem man ein ordentliches Steak-Dinner bekommen kann.