Als Lebens- und Wohlfühlkonzept hat Mobilitätsmanagerin Claudia Tonic-Cober mit Unterstützung des „Arbeitskreis Klimaschutz“ die Aktion „autofreie Zone“ in der Jülicher Einkaufsmeile zwischen Kurfürstenstraße / Ecke „kleine“ Römerstraße und Hexenturm und Markstraße entwickelt. Bestärkt hat das Team das Votum zum Mobilitätskonzept, in dem „quer durch die Generationen“ zurückgemeldet worden wäre, dass in „der City“ durch den Autoverkehr und die Parkplätze die Räume unübersichtlich und damit auch ein stückweit unsicher seien. Das Experiment: Parallel zur europäischen Mobilitätswoche vom 16. bis 20. September eine Erprobungsphase für eine faire Verteilung der Räume für alle: Fußgänger und Radfahrer sowie Gastronomie und Einzelhandel. Letzteren sollte – so die Idee – mehr Raum für Bestuhlung beziehungsweise Präsentationsfläche erhalten. Vor, während und nach der Woche sollte es eine Erhebung durch ein externes Büro geben – im Fachjargon: Evaluation.
Freie Fahrt gewährt werden sollte nach dem Konzept dem Lieferverkehr, Taxen und dem Bürgerbus, der um einen zweiten Bus erweitert und mit enger Taktung die Innenstadt anfahren sollte, Schwerbehinderte und Tankwilligen an der E-Ladestation in der Kölnstraße. Kostenfrei sollte in dieser Zeit das Parkhaus Zitadelle allen zur Verfügung stehen. Ergänzend wurde mit dem Jugendparlament Jülich (JuPaJü) abgestimmt „Einkaufsunterstützungsdienste“ anzubieten zu den Haupteinkaufszeiten – also ein Lieferservice ans parkende Auto oder sogar bis an die Haustüre.
Fachkompetenz hatte sich die Stadt an die Seite geholt: Theo Jansen, Leiter der Geschäftsstelle Zukunftsnetz Mobilität NRW, erläuterte nicht nur die Eckpfeiler von veränderter Mobilität und Klimaschutz, sondern an Beispielen, wie positiv in anderen Städten dieses zunächst kritisch begleitete Konzept „autofrei“ von Kunden und Anwohnern beurteilt worden sei. Im Verlauf der Diskussion gab er zu bedenken, dass, als 2007 das Rauchverbot kam, ein Kneipensterben vorausgesagt worden sei. Heute sei es eine Selbstverständlichkeit und viele würden es positiv bewerten.
All das verfing nicht. Die Stimmung war in der eh schon aufgeheizten Halle des Kulturbahnhofs von Anfang an fast explosiv. Von den 50 nicht der Werbegemeinschaft angehörigen Einzelhändlern und den 60 Werbegemeinschafts-Mitgliedern waren 13 Gewerbetreibende gekommen. Weniger zum Zuhören und Austausch als dazu, ihrem Zorn und ihrer Kritik Luft zu machen. Allen voran Jürgen Friedel, der erst in diesem Jahr von der Kleinen Rurstraße an die Kölnstraße umgezogen ist. „Ergebnisoffen“, wie angekündigt, sei die Diskussion nicht, wenn eh schon feststehe, dass die Stadt ihren Plan umsetzen wolle. „Wir zahlen die Zeche, damit die Stadt die Stadt umbauen kann. So empfinde ich das“, warf Friedel Bürgermeister Axel Fuchs vor, der einräumte, dass diese Aktionswoche natürlich auch ein wichtiges Zeichen an die Fördergeldgeber sei, dass man es mit dem Umbau der Mobilität ernst meine. „Das ist nicht bis zum Ende durchgedacht.“
Peter Boeken, der in der Markt- und Bongardstraße seine Geschäfte betreibt, kritisierte, dass die Händler nicht mitgenommen worden seien. Dem widersprach deutlich Benjamin Lövenich, Gastronom und Vorsitzender der Werbegemeinschaft. „Hätte man Euch gefragt, hättet Ihr doch eh nicht zugestimmt“, sagte Lövenich. Die Werbegemeinschaft hatte zu der Aktionswoche extra den verkaufsoffenen Sonntag vom 4. Oktober um zwei Wochen vorgezogen, um so das Vorhaben zu unterstützten.
Claudia Essling und Antje Müller, die Bekleidungsgeschäfte in der Marktstraße betreiben, befürchteten die wegfallenden Parkplätze bedeuteten zeitgleich ausbleibende Kunden. Ulrich Backhausen, der nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als Vorsitzender der IG Kleine Rurstraße/ Grünstraße zur Informationsveranstaltung gekommen war, äußerte, dass vor allem Fahrradfahrer und Fußgänger sich an diesem Mobilitätskonzept beteiligten, nicht aber jene, die die Innenstadt mit dem Auto befahren wollten und auch nicht die Einzelhändler. Diese seien „in vielen Dingen sehr zurückhaltend“ und würden darum nicht in der Statistik auftauchen. Kritik gab es vor allem auch am Zeitpunkt. Georg Walmrath nannte es eine „Hau-Ruck-Aktion“ zumal die Zeit in die erfahrungsgemäß zu erwarten umsatzstärkste Zeit des Jahres fallen würde.
Wolfgang Hommel, Vorsitzender des Vereins Stadtmarketing und bis 2019 viele Jahrzehnte Einzelhändler, zweifelte die Vorbereitung und vor allem die Überprüfung der Aktion an. Schon im Vorfeld hätte man den Kundenfluss bei den Geschäften abfragen sollen, um Vergleiche zu ziehen. Unterschwellig warf er der Stadt Aktionismus vor, „ dass man etwas testen will, weil man etwas machen muss, weil man das Thema in Jülich angestoßen hat“. Mehr Kunden, so seine Bewertung, würden nicht gewonnen. Bei den Stadtfesten seien die Kundenströme seiner Erfahrung nach halbiert. Eine Aktionswoche würde das nicht ändern. Zu berücksichtigen sei vor allem auch, dass es der Einzelhandel wegen der Corona-Krise ohnehin schwer habe.
In diesen Tenor stimmte Bäckermeister Patrick Weitz ein: „Man muss den Einzelhandel verstehen, der durch die Krise Angst hat. Wir haben Angst.“ Seine 25 Mitarbeiter und seinen Familienbetrieb würde er gerne an die nächste Generation weitergeben. „Wenn der nächste Shutdown kommt, können wir die Stadt zumachen, dann ist sie eh tot.“ Die Umsatzeinbußen bezifferte Weitz auf 36 Prozent. „Wissen Sie, was das bedeutet?“
Das gab letztlich den Ausschlag. Bürgermeister Axel Fuchs lenkte ein. „Ich habe volles Verständnis dafür, dass die Sorge groß ist, dass die Situation in Zeiten von Corona durch diese Aktionswoche noch schlechter wird. Vor allem, weil wir nicht wissen, was morgen ist.“ Er bot die Verschiebung um ein Jahr an – vorausgesetzt, dass sich die politischen Vertreter dieser Meinung anschlössen. Gleichzeitig verpflichtete er die Einzelhändler aber auch darauf, sich mit an den Tisch zu setzen und gemeinsam zu planen, damit 2021 die Aktion „autofrei“ zur europäischen Mobilitätswoche umgesetzt werden kann. „Wir müssen es dann auch gemeinsam wollen und an einem Strang ziehen. Ich habe keine Lust hier im nächsten Jahr zu sitzen und zu hören: Eigentlich wollen wir es doch nicht!“
Erleichterung bei der Kaufmannschaft und plötzlich war doch wieder mehr drin. Denn Benjamin Lövenich gab zu bedenken, was denn mit dem verkaufsoffenen Sonntag sei? Den mit den Gewerkschaften zu vereinbaren, erläuterte Dezernent Richard Schumacher ergänzend, sei schwierig gewesen und könne nicht losgelöst vonstatten gehen. Also: Autofreier Sonntag mit verkaufsoffenem Sonntag? „Warum nicht drei Tage?“ stellte Claudia Tonic-Cober in den Raum und formulierte ihre Enttäuschung, dass die vielen Gedanken und Ideen auf so wenig fruchtbaren Boden gefallen waren. Den Weg konnten die Geschäftsleute mitgehen.
Drei Tage wird also nach jetzigem Stand die Stadt „autofrei haben“. Von Samstag, 19., bis einschließlich Montag, 21. September, wird das Lebens- und Wohlfühlkonzept für eine „faire Verteilung der Räume für alle: Fußgänger und Radfahrer sowie Gastronomie und Einzelhandel“ erprobt.
Der „kleine Arbeitskreis“ der schon zu Beginn der Veranstaltung von Claudia Tonic-Cober für die Feinabstimmung mit den Einzelhändlern vorgeschlagen worden war, wird sich jetzt umgehend treffen.