Alle Kunstwerke sind ein Versprechen. Landschaften geloben uns Heimat, Tiere etwas wie Anmut und Porträts versprechen Charakter und Integrität. Fehlt das alles und zeigen die Bilder stattdessen Vertreibung, Gebrechen und Niedrigkeit, dann klagen sie an und fordern das Versprochene ein. So gibt es Blumen gemalt wie Duft und reine Lust, wieder andere stehen noch voller Zuversicht in der Vase, ein erstes abgefallenes Blütenblatt am Boden und wieder andere ragen wie Barrikaden vor dem Nichts. Kunst will unseren Glauben an Glück und Sinn im Leben und an ein Versprechen bestärken, das letztlich nie gegeben wurde.
In ihren Anfängen ist die Kunst voll vitaler Wunschkraft gewesen, Metaphysik gab es erst in Anklängen. Das Mammut an der Felswand sollte in erster Linie auf den Grill, auch wenn man es in Ansätzen vielleicht schon als lebenserhaltende Gottheit verehrte und die Venus von Willensdorf handelt von jener Schönheit, die uns das Versprechen zu gebären und zu nähren gibt. Romantik war unbekannt.
Auch der Gallische Krieg oder die Logbücher der ersten Erdumsegler sind noch von dieser prosaischen Knappheit. Aber hinter diesem herzlosen Ton steht das Versprechen, das Unternehmen unter Aufbietung aller Kraft zu einem guten Ende zu führen. Das Versprechen bleibt, die Versprechen ändern sich im jeweiligen Zeitkostüm.
Märchen, Mythen und Sagen gehen da schon etliche Schritte weiter und knüpfen bilderfroh, farbenreich und flauschig an Teppichen und Gobelins, um uns die nackten Korridore auszuschmücken. Kindliche Wünsche von Liebe und Gerechtigkeit, Symbole, vom roten Faden des Versprechens durchzogen, dass wir durch alle Wechselfälle hindurch zu einem guten Ende geführt werden sollen. Es ist das gleiche Versprechen, wie es uns auch aus den Gesichtern der Neugeborenen entgegen zu leuchten scheint: das Versprechen, dass Leben auch gegen Bedrohung und Widerstände letztlich funktioniert und als Glück möglich ist.
Unglücklicher Weise schauen wir aber nicht nur in die Gesichter von Babys, sondern auch in den Fernseher und dort wird uns eher das Gegenteil serviert. Und mag das Versprechen vielleicht für uns Menschen als Gattung und als Möglichkeit Gültigkeit besitzen, Du und ich sollten uns besser nicht allzu sehr darauf verlassen, und die kindlichen Bilder färben sich mit den Jahren dunkel, die Bewegungen werden eckig, der Raum geht im Zweidimensionalen verloren.
Im Märchen von Dornröschen bewirkt dieses Erstarren die 13. Fee, die die Verwünschung des baldigen Todes ausspricht, und auch die 12. und gute Fee kann diesen Fluch nur in einen hundertjährigen Schlaf abmildern. Hundert ist natürlich ein Symbol. Es ist die gesamte Lebenszeit ausfüllende Dauer. Ein künstliches Koma, das uns vor der Einsicht der Endlichkeit beim morgendlichen Aufwachen in Schutz nehmen will, damit wir unsere Augen nicht immer wieder aufs Neue davor verschließen müssen. Denn mit dieser Einsicht fallen wir ins Relative und in das, was Ingeborg Bachmann die gestundete Zeit nennt. Wir lassen uns unser Guthaben in kleiner Währung auszahlen, da ist kein großer Wurf und wir sehen das Konto von Tag zu Tag geringer werden.
Davor drückt uns die 12. Fee die Augen zu und wir träumen und hoffen, dass die Stürmer und Dränger, alle Drachentöter und Erwecker in der somatischen Dornenhecke hängen bleiben und uns diese herausgeputzten Prinzen mit ihrem Kuss verschonen mögen: Ein Kuss, der nichts anderes als ein Absturz in die Wirklichkeit, in die Realität sein würde. Das Märchen weiß davon zu berichten: die Dinge nehmen ihren Lauf: dem Huhn wird der Kopf abgehackt und die ausgeholte Hand trifft in das Gesicht des Küchenjungen.
Die Künste unterstehen der 12. Fee, es sind Traumfabriken, auch wenn die Künstler selbst selten ein Beispiel von der Erfüllung dieses Versprechens geben, eher das Gegenteil, der Leser erinnert sich vielleicht an den Herzog Nr.13. Trotzdem gestalten sie weiter das Gute, Wahre, Schöne und ob dieses Durchhalten durch Tapferkeit, einen kindlichen Glauben oder eine zweifelhafte Philosophie gewährleistet wird, das erkennt man selbstverständlich an den Kunstwerken.
Narren, Glücksritter und Hochstapler sind sie und der Dr. Faustus ist ihr Maskottchen, er, der dem Mephisto ein vertraglich gesichertes Versprechen abringt, den Teufelspakt. Faust, der rastlos forschende, drängende, verwettet dem Teufel seine Seele, wenn er jemals den Augenblick genießen sollte und, wie er es ausdrückt, sich je aufs Faulbett lege. Dann möge sein unsterblicher Rest zum Teufel sein.
Das faustische Weiter, Höher, Schneller, das Versprechen einer Erlösung durch das Tun wirkt bis heute fort, einer der Prinzen muss wohl zu uns durchgedrungen sein, weiß der Teufel. Und da der Teufel ein Schelm ist, führt er den Faust in alle Versprechungen des Augenblicks, in Wein, Weib und Gesang. Und Faust, der alte Kämpe, geht hindurch und widersteht, er schwört dem Vergänglichen solange ab, bis es ihm dämmert, dass jeder Augenblick der letzte sein könnte und jetzt spricht er es aus, sein verweile doch, du bist so schön…“ Und wäre da nicht die Maria gewesen, die rettende Mater dolorosa, er wäre zum Teufel. Also auch hier, als doppelter Boden des großen Dramas, das Versprechen, dass wir dann letztlich doch nicht zum Teufel gehen.
Niemand würde auf der Grundlage solch einer Zusage auch nur einen Gebrauchtwagen kaufen, aber leben tun wir alle danach. Auf Teufel komm raus. Doch lassen Sie uns noch einmal zum Anfang gehen, zu Gesichtern, Pferden, Stränden. Jede beliebige Erscheinung teilt sich wie der Blumenstrauß am Ende in zwei Philosophien auf: in das Nichts oder den Duft. Das Sein als Illusion oder als der Duft des Moments, der nach Oskar Wild- wie der Genuss einer Zigarette – das Größte ist, da dieser blaue Dunst höchst köstlich ist und dabei völlig unbefriedigt lässt. Ein Versprechen von Augenblick zu Augenblick, das wir mit kräftigen Lungenzügen einsaugen und dessen Folgen uns wie die des Nikotingenusses durchaus bekannt sind – und das wir allen Kampagnen zum Trotz genießen. Auch wenn jede Lust nach Nietzsche eigentlich Ewigkeit will.