Die Jahre der nationalsozialistischen Diktatur von 1933 bis 1945 haben sich tief eingebrannt in das kollektive Gedächtnis der Deutschen. Zahlreiche Gedenkstätten, Museen, regelmäßige Gedenkveranstaltungen sowie Dokumentationen und Filme in Kino, Funk und Fernsehen, Romane, Sach- und Fachbücher beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Themen der NS-Zeit. Immer wieder holt uns ihr Schatten ein, wie die jüngste Diskussion um Kunstraub und „Entartete Kunst“ im Zusammenhang mit dem Fund einer bedeutenden privaten Kunstsammlung in München zeigt. Die Vergangenheit ist nicht abgeschlossen und kann es auch nicht sein. Nicht angesichts der ungeheuerlichen Verbrechen der Nazis, die im beispiellosen staatlich angeordneten und umgesetzten Genozid am europäischen Judentum mit seinen sechs Millionen Opfern gipfelte. Und auch nicht angesichts der Folgen des Zweiten Weltkriegs, die uns ebenfalls noch immer beschäftigen.
Das Wachhalten der Erinnerung ist gerade deshalb so bedeutsam, da sich Geschichte so nie mehr wiederholen darf. Eine angemessene Form des Erinnerns und Gedenkens zu finden ist jedoch kein einfaches Unterfangen. Sich dieser Herausforderung auf lokaler Ebene immer wieder zu stellen, ohne dabei in vordergründigen Ritualen zu erstarren, ist das große Verdienst der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz e.V. Gegründet im Jahr 2000, setzt sie sich für die Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung der Menschen jüdischen Glaubens aus dem Jülicher Land ein, die einmal ganz normale Bürger dieser Region waren und als Nachbarn, Freunde, Bekannte oder Geschäftsleute geschätzt wurden. Daher engagiert sich die Gesellschaft gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und für Demokratie, Zivilcourage, Solidarität und Toleranz.
Ihre erste große Aufgabe sah die Jülicher Gesellschaft darin, ein würdiges Mahnmal in Jülich zu errichten, das an die rund 270 von den Nationalsozialisten ermordeten Juden aus den Gemeinden Aldenhoven, Inden, Jülich, Linnich, Niederzier und Titz erinnert. Bereits am 2. Dezember 2001 konnte das von dem Jüchener Bildhauer und Steinmetzen Michael Wolff gestaltete Mahnmal auf dem Propst-Bechte-Platz eingeweiht werden. Es steht damit in unmittelbarer Nähe zum alten jüdischen Friedhof an der Aachener Straße und nur wenige hundert Meter vom ehemaligen Standort der Jülicher Synagoge in der Straße „An der Synagoge“ entfernt. Die Jülicher Gesellschaft beschreibt das Mahnmal und seine Aufgabe wie folgt: „Das Mahnmal besteht aus zwei neben- einander angeordneten geschwungenen schwarzen Granitblöcken, auf den die Namen der Opfer eingemeißelt sind. Zwischen ihnen stehen sich zwei menschliche Skulpturen gegenüber, die das notwendige Aufeinanderzugehen symbolisieren. Wird das gelingen?“
Im Jahr 2006 legten Gabriele und Heinz Spelthahn, zwei wichtige Motoren der Jülicher Gesellschaft, die Dokumentation „Entrechtet – entwurzelt – ermordet. Buch der Erinnerung an die Juden des Jülicher Landes“ vor, die das Mahnmal-Projekt auf über 250 Seiten nachzeichnet und die wissenschaftlichen Grundlagen liefert.
Es war der damalige Bundespräsident Roman Herzog, der 1996 in Deutschland den 27. Januar zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ ausrief. Erinnert wird damit an den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Jahr 1945. Seit dem Jahr 2003 begeht auch die Jülicher Gesellschaft diesen Tag, indem sie Jugendliche aus der Region auszeichnet, die sich intensiv und persönlich mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt haben. Dies geschieht meist im Zusammenhang mit den Gedenkveranstaltungen zur Pogromnacht, die von den Nazis auf zynische Weise als „Reichskristallnacht“ bezeichnet wurde, in den einzelnen Städten und Gemeinden des Jülicher Landes. Es ist immer wieder beeindruckend, wie sich Schüler- und Jugendgruppen gemeinsam mit ihren LehrerInnen dieser schweren Thematik stellen.
2006 verlieh die Jülicher Gesellschaft in diesem Zusammenhang erstmals den „Preis für Zivilcourage“. Bisherige Preisträger waren u.a. Dr. Jan Robert von Renesse, Richter am NRW-Landessozialgericht und Ferdinand Esser, früherer Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland. Damit werden vor allem den jungen Leuten Menschen vorgestellt, die in vorbildhafter Weise Zivilcourage gezeigt haben.
Die nächste Preisverleihung der Jülicher Gesellschaft findet am 27. Januar 2014 um 18 Uhr in der Schlosskapelle der Zitadelle Jülich statt. Dann wird Gabriel Bach (Jerusalem) diese Ehrung entgegen nehmen. Bach ist einer der bekanntesten israelischen Juristen, der 1960 stellvertretender Chefankläger im Eichmann-Prozess wurde. Die Laudatio hält der kürzlich in den Ruhestand getretene Präsident des Verwaltungsgerichts Aachen, Prof. Dr. Herbert Limpens.
Ein ganz besonderes Anliegen der Jülicher Gesellschaft und ihrer Vorsitzenden Gabriele Spelthahn bleibt für die Zukunft die Zusammenarbeit mit den Schulen. Dazu gehören gemeinsame Unterrichtsstunden und Synagogenbesuche ebenso wie die Koordination der verschiedenen Gedenktage im November jeden Jahres. Während man um den 9. November herum der Schändung der Synagoge in der Pogromnacht gedenkt, steht am 16. November ein ganz anderes Ereignis im Fokus: die nahezu vollständige Zerstörung Jülichs durch einen alliierten Luftangriff im Jahr 1944. Dabei sind beide Gedenktage zwei Seiten ein und derselben Medaille. Der 9. November symbolisiert die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands, von dem auch der Zweite Weltkrieg ausging, der am 16. November 1944 mit aller Gewalt nach Jülich zurückkam. Die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, wohin Menschenverachtung und Diskriminierung führen können, bleibt eine stete Aufgabe, der wir uns, gerade im Hinblick auf die zukünftigen Generationen immer wieder stellen sollten. Darin gemahnt uns die Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz mit ihren Aktivitäten über den Tag hinaus.
Gedenkveranstaltung | 27|01
Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz | Schlosskapelle Zitadelle Jülich | 19:00 Uhr