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Die, die den Nebel kämmt

Anne Lummerich unterwegs in der „Grünen Wüste“ Perus

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Flüchtlingsbegleiterin in Guatemala | Foto: Anne Lummerich
Der Versuch die Welt ein wenig besser zu machen | Foto: Anne Lummerich
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Fernweh und Reiselust sind die Grundvoraussetzungen dafür, dass meine Kollegin Anne Lummerich – Biologie- und Englischlehrerin am Mädchengymnasium in Jülich – vor knapp 10 Jahren beschloss, die Welt ein wenig besser zu machen.

Bereits als Schülerin bereist sie begeistert ferne Länder und lernt Landschaften, Menschen und Kulturen kennen. Doch Reisen alleine genügt Anne nicht, sodass sie schon während des Studiums einen intensiven Sozialeinsatz zeigt, indem sie drei Monate als Flüchtlingsbegleiterin in Guatemala arbeitet. Dieser Einsatz gibt vermutlich den letzten Anstoß dafür, dass in Anne der Gedanke reift, auåch einmal über einen längeren Zeitraum uneigennützig im Ausland zu arbeiten.

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Aber wie wurde Anne zur Nebelfängerin? Blicken wir ein Stück zurück in die Vergangenheit.
Annes Mann Kai Tiedemann forscht auf Teneriffa zum Thema Nebel und verfasst seine Diplom- und Doktorarbeit darüber, wie nebelauskämmende Pflanzen den Wasserhaushalt tropischer Wälder beeinflussen. Schnell ist auch Anne Feuer und Flamme und während für die meisten Menschen Nebel zu getrübten Bildern und Sichtweisen führt, wird für Anne immer deutlicher, dass genau hier der Schlüssel für ihr zukünftiges Engagement liegt: Nebel einfangen und auskämmen und das so gewonnene Wasser einer wasserarmen Region und deren Menschen zur Verfügung stellen. „Einfangen“ oder „Auskämmen“ lässt sich Nebel mit Hilfe eines Nebelfängers, einer Konstruktion bestehend aus zwei Außenpfosten zwischen die ein Netz gespannt ist. Nebeltropfen bleiben im Netz hängen, formen größere Tropfen und fallen mit der Schwerkraft in eine Rinne. Von dort gelangt das Wasser in ein Speicherbecken. Solche Nebelfängerprojekte gibt es schon seit einem Vierteljahrhundert, sie finden ihren Ursprung in Chile.

Den bereits in Chile erfolgreich etablierten Nebelfängerprojekten der Organisation fogquest will das Biologenpaar dabei keine Konkurrenz machen und da liegt es nahe, sich Richtung Peru zu orientieren, da dieses Land ähnliche klimatische Gegebenheiten aufweist und über viele Nebelgebiete verfügt. Eigentlich mangelt es also gar nicht an Wasser. Dieses zieht aber als Nebel vom kalten Pazifik landeinwärts und bleibt aufgrund fehlender Hindernisse – früher gab es diese noch in Form von längst abgerodeten Wäldern – ungenutzt. Und somit zählt Perus Küste zu den trockensten der Welt.

Anne nutzt ihre Chance und verwirklicht ihren Traum. Das MGJ unterstützt sie in ihrem Vorhaben.Sie lässt sich für fünf Jahre beurlauben und packt Koffer. Gemeinsam stellen Anne und Kai beim Global Exploration Fund einen Förderantrag. Es ist typisch für Anne, dass sie voller Optimismus in Peru landet, ohne zu wissen, ob der Antrag bewilligt wird und das notwendige Geld zur Realisierung des Projektes fließt.

Die notwendige Bewilligung aus Deutschland verzögert sich. Diese Wartezeit nutzt Anne aus, um in Lima eine schöne Wohnung zu beziehen und einzurichten. Und tatsächlich bewilligen Bayer und National Geographic als Sponsoren im April 2006 30.000 US Dollar für das Nebelfängerprojekt in Peru. Als diese Botschaft in Lima eintrifft, können Kai und Anne ihr Glück kaum fassen. Doch schnell ziehen wieder dichte Nebelschwaden auf und trüben die Stimmung. So einfach ist es dann doch nicht, das Projekt zu realisieren, alleine bewilligte Gelder reichen hier nicht aus.

Zunächst muss ein Ort gefunden werden. Eine peruanische Biologin, die als peruanische Expertin mit im Projektantrag war, stellt den Kontakt zu einer Gruppe her, die einen Park plant und Bäume pflanzen möchte, aber nicht weiß, wie diese zu bewässern sind. Eigentlich ein Idealfall für die Nebelfänger. Und so präsentiert Anne das Projekt, kann aber nicht alle Mitglieder der Umweltorganisation davon überzeugen, dass es tatsächlich möglich ist, Nebel auszukämmen. Die Zusammenarbeit wird abgelehnt. Auch der nächste Vermittlungsversuch eines Bekannten scheitert an einem korrupten Dorfvorsteher, der mit der Polizei droht. Diese Rückschläge sind entmutigend, aber Anne wäre nicht Anne, wenn sie ihm nicht doch etwas Positives abgewinnen könnte. Nach dem Motto, wer weiß, wofür es gut ist, akzeptiert sie den Rückschlag und blickt nach vorne. Auf Vermittlungen durch Einheimische will Anne sich jetzt aber nicht mehr verlassen und macht sich gemeinsam mit Kai selbst auf die Suche, einen geeigneten Projektort zu finden. Und sie werden fündig, finden ein Dorf mit dem schönen Namen Bella Vista, das bereits äußerlich sehr organisiert wirkt, laut Anne eine Bedingung für das Gelingen. Nachdem sie das Nebelfängerprojekt vorgestellt haben, fragt der Dorfvorsteher die Anwohner, ob sie diese beiden Menschen gehen lassen wollen und es kommt zu lauten Zurufen, die Dorfmitglieder sind beeindruckt und begeistert. Endlich kann es losgehen.

In den sogenannten „Neuen Siedlungen“ im Armutsgürtel um Lima gibt es die Tradition der Faenas, der Dorfgemeinschaftsarbeit. Sonntags trifft man sich und arbeitet für das Gemeinwohl. Wer nicht erscheint, hat mit empfindlichen Bußgeldern zu rechnen. Und so machen sich die Bewohner von Bella Vista auf, ein Becken auszuheben, während Anne und Kai in einer ersten Testphase, orientiert an fogquest, kleine Nebelfänger, später auch große Nebelfänger,  aufbauen. Und dann endlich darf Anne den Kamm aus der Hosentasche holen und frisieren. Das Ergebnis ist beeindruckend. Durchschnittlich 600 Liter Wasser werden mithilfe der Nebelfänger an guten Tagen ausgekämmt.
Ermutigt vom Erfolg des Projekts entwickeln Anne und Kai eigene dreidimensionale Kollektoren und können im zweiten Projektjahr dadurch mit einem nur 8×4 m großen Nebelfänger bis zu 2600 Liter Wasser täglich auskämmen.

Der Erfolg spricht sich herum und das Projekt kann auf zwei weitere Dörfer ausgedehnt werden. Auch Quebrada Alta und Los Angeles gewinnen nun mit den Nebelfängern Wasser.
„Was müssen wir dafür tun, damit wir an diesem Projekt teilnehmen dürfen?“, ist die Kernfrage, die die Menschen Anne hier stellten. Sie sieht sich dabei vorrangig als Unterstützerin in einem Projekt, das gemäß dem Leitbild der Nachhaltigkeit ökologische, ökonomische und soziale Aspekte vereinigt. Annes Ziel ist es, durch ihren Einsatz Starthilfe zu geben und bei der Organisation zur Seite stehen, bis die Dorfbewohner eigenständig den Nutzen aus den Nebelfängern ziehen können und verantwortlich mit ihnen die Zukunft gestalten. Die größte Schwierigkeit eines Sozialprojektes liegt immer in der Nachhaltigkeit. Die am Nebelfängerprojekt beteiligten Dörfer sind aufgrund des gewonnenen Wassers in der Lage, Parzellen mit Agrarprodukten zu bewässern und die Anbauprodukte zu verkaufen. Häufig sind diese Dörfer in der gesamten Region die einzigen mit Wasser und können auch  dieses als Nutzwasser verkaufen. Die Dorfbewohner nutzen diese Mittel und ihre eigene Kreativität, um die Fänger instand zu halten und bei Bedarf zu reparieren. Das macht Mut. Und es hilft Anne, auch an die Rückkehr nach Deutschland zu denken. Denn plötzlich sind die fünf Jahre vorbei.

Seit 2009 ist Anne wieder als Lehrerin am MGJ tätig. Den Kontakt zu ihren Dörfern hält sie aufrecht. Gerade hat die Stiftung Münchener Rückversicherungen einen Förderzuschlag erteilt, sodass die Nebelfänger in Peru wieder optimiert werden können als Erweiterung der bestehenden Projekte. Am liebsten würde Anne wieder selbst vor Ort mitarbeiten und plant bereits einen weiteren Aufenthalt in Peru. Dann aber muss sie ihren Kamm während der deutschen Schulferien einsetzen…


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