2015
Die Flucht aus ihrem Sklavendasein gelingt. Vor vielen Jahren waren Hamida Mohammed und Kalisa Abajobir, geboren in Äthiopien, von ihren Eltern in Haushalte arabischer Familien verkauft worden. 18-Stunden-Arbeitstage waren Normalität bis zu diesem Zeitpunkt: Kindererziehung, Haushaltsführung und Gartenpflege gehörten zu ihren Aufgaben. Gewalt und sexuelle Übergriffe gehörten ebenso zum Alltag, und der Lohn wurde, wenn überhaupt, nur teilweise ausgezahlt.
Die jungen Frauen lernen sich kennen, weil die Familien, in denen sie dieser Form von moderner Sklaverei ausgesetzt waren, verwandt sind. Verständigen können sie sich nur deshalb, weil beide Ara- bisch lernen mussten, denn ihre Muttersprache ist trotz des gleichen Geburtslan- des unterschiedlich. Als die Familien gemeinsam eine Deutschlandreise unternehmen und ihre „Angestellten“ mitnehmen, entkommen Hamida und Kalisa. Bei dieser Vorgeschichte ist klar, dass die beiden Frauen nicht nach Äthiopien zu ihren Fa- milien zurückkehren wollen – zumal in einem Fall bereits eine Heirat verabredet ist, für die die Familie bereits ein Stück Land erhalten hat. Grund genug, in Deutschland Asyl zu erhalten.
Nach der Flucht treffen die Frauen aber auf „schlechte Ratgeber“, wie Reiner Lövenich es formuliert: Sicherer sei es, so wird ihnen vermittelt, sich als Schwestern auszugeben mit dem Herkunftsland Eritrea. Mit dieser neuen Vita kommen sie im Dezember in Inden an.
2016
Der Asylkreis Inden nimmt sich ihrer an. Hamida und Kalisa bekommen ersten Sprachunterricht, sie ziehen in eine „Frauen-WG“ der Gemeinde ein. Als es im Juni 2016 zur Anhörung kommt, bricht das Lügenkonstrukt in sich zusammen, denn durch Fingerabdrücke bei der Ein- reise nach Deutschland sind die Frauen identifiziert worden. Das Bundesamt reagiert prompt: Innerhalb einer Woche sollen die Frauen abgeschoben werden –
Die EQlerinnen Kalisa Abajobir (l.) und Hamida Mohammed.
ohne eine Gelegenheit auf Widerspruch oder eine neue Verfahrensaufnahme. „Da haben wir zwei nicht mehr schlafen können“, erzählt Karoline Pinkert. Mit Mühe gelingt es, einen Anwalt in Köln zu finden, der die Äthiopierinnen vertritt. Reiner Lövenich kontaktiert Thomas Müller vom regionalen Pastoralrat Düren, der gleichzeitig im Aufsichtsrat des Caritasverbandes sitzt. Lövenich will einen Ausbildungsplatz finden, um handfeste Argumente für ein Bleiben der Frauen zu erreichen. Während es im Eilverfahren gelingt, dass inklusive der Zustimmung der Landwirtschaftskammer im Jülicher Hildegardisstift Plätze für eine sogenannte „Einstiegsqualifizierung“ (EQ) geschaf- fen werden, übernimmt Psychologe Frank Kress die Behandlung der Frauen und beginnt mit der Aufarbeitung der Traumata. Dank der guten Kooperation der Caritas als Arbeitgeber und Ausbilder mit der Agentur für Arbeit, die die Finanzierung trägt, und der Ausländerbehörde Düren, die die Genehmigung erteilen musste, gelingt es. „Alle haben super mitgespielt“, sagt Reiner Lövenich, und die Erleichterung ist ihm immer noch anzusehen.
2017
Ute Maurischat übernimmt im Hildegardisstift die Qualifizierung. Schnell lernen
Hamida und Kalisa in der Wasch- und Kochküche, wie ein „152-Personen-Haushalt“ abläuft: „Die Arbeiten waren ihnen ja vertraut, aber…“ Tischwäsche und Flachwäsche waschen, falten und den Bewohnern zuordnen, Schnitt-Techniken bei Gemüse und Fleisch lernen, Salatzubereitung, Tische eindecken und dekorieren gehören nun unter anderem zu den Pflichten. Zwischendurch gibt es mobile Vokabeltests, wenn die Ausbilderin im Vorbeigehen auf etwas zeigt und fragt: „Was ist das?“ Ganz angetan ist Ute Maurischat, wie schnell die jungen Frauen lernen. Das Zeugnis ist dementsprechend ausgefallen.
Nur eine Woche Urlaub hatten Hamida und Kalisa nach der erfolgreichen Qualifizierungsmaßnahme. Jetzt sind sie bereits wieder im Einsatz: Im Altenheim Marien-Linde in Aachen in der Trägerschaft der Pfarrei St. Josef und Fronleichnam werden die beiden jetzt zu Hauswirtschafterinnen ausgebildet. Außerdem steht natürlich der Besuch der Berufsschule an: Nach Köln müssen die Frauen hierfür. Eine Herausforderung, denn beide sind noch nicht sattelfest in der deutschen Sprache.
Dringend gesucht werden noch Ehrenamtler, die zweimal im Monat die neuen Azubis zum Wochenend-Dienst von Inden nach Aachen bringen können. Freiwillige können sich beim Asylkeis unter der Rufnummer 0 24 65/30 07 50 melden. Und eine Zukunftsvision hat Karoline Pinkert noch: „Man müsste eine Integrationsarbeitsfirma für Flüchtlinge gründen. Denn wenn sie einmal im System angekommen sind, gelingt auch die Integration.“