Start Magazin Zukunft & Wirtschaft Zusammenhang zwischen Hirnrinde und Krankheiten

Zusammenhang zwischen Hirnrinde und Krankheiten

Wissenschaftler auf der ganzen Welt erforschen, welchen Einfluss Gene auf die Ausformung der menschlichen Hirnstruktur haben. Nun sei es ihnen gelungen, über 300 Stellen im menschlichen Genom zu identifizieren, die wesentlichen Einfluss auf die Ausbildung der Struktur des Gehirns haben. Dies teilte das Forschungszentrum mit. Dabei stellte sich heraus, dass es Zusammenhänge zwischen der Struktur der Großhirnrinde und Hirnfunktion gibt. Auch Auswirkungen auf Krankheiten wie etwa Parkinson, ADHS, Depressionen und Schlaflosigkeit konnten bestätigt werden. 

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Suche nach dem Einfluss von genetischen Faktoren auf strukturelle Merkmale der Großhirnrinde: Unterschiede in der Oberfläche und Dicke der Hirnrinde wurden mit Magnetresonanztomografie in zehntausenden Erwachsenen gemessen und gemeinsam mit Millionen von DNA-Bausteinen statistisch analysiert. Die Assoziation zwischen zwei Bausteinen (SNPs) und zwei Regionen ist farblich exemplarisch hervorgehoben. Das Gehirnbild wurde freundlicherweise überlassen von Tyler Ard, James Stanis, und Arthur Toga vom Stevens Neuroimaging and Informatics Institute, Keck School of Medicine of the University of Southern California, USA. Foto: Tyler Ard, James Stanis, und Arthur Toga vom Stevens Neuroimaging and Informatics Institute, Keck School of Medicine of the University of Southern California, USA / Forschungszentrum Jülich
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Die Großhirnrinde – oder auch zerebraler Kortex – bildet die äußere Nervenzellschicht unseres Gehirns. Sie ist zwischen  zwei und fünf Millimeter dick und ist zuständig für Geruch, Gehör und Sprache, Tastsinn und Geschmack, Sehen, Bewegung, Sprache und Denkvorgänge. Die Großhirnrinde ist die Grundlage unserer komplexen kognitiven Fähigkeiten.

Man wisse bereits, dass die Unterschiede im Aufbau der Großhirnrinde zwischen einzelnen Menschen, speziell in ihrer Oberfläche und Dicke, Einfluss auf unsere neurologischen und psychologischen Merkmale sowie unser Verhalten haben, so das Forschungszentrum. Welche genetischen Faktoren diese Variabilität der Großhirnrinde aber beeinflussen, war bisher systematisch noch nicht untersucht worden.

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Das internationale Forscherkonsortium ENIGMA (Enhancing Neuro Imaging Genetics through Meta-Analysis) hat eine großangelegte Untersuchung durchgeführt, wie genetische Varianten die Struktur der Großhirnrinde beeinflussen. Die Wissenschaftler analysierten Hirnscan-Aufnahmen von 51.665 erwachsenen Menschen. Die Forscher glichen diese Daten, die aus 60 bevölkerungsbasierten Kohortenstudien stammten – unter anderen der 1000-Gehirne-Studie des Forschungszentrums Jülich – an jeweils bis zu zehn Millionen variablen Stellen des Genoms miteinander ab. Bei der internationale Studie, an der mehr als 360 Wissenschaftler aus 184 Zentren beteiligt waren, wurden Daten von über 50.000 Menschen ausgewertet.

Für ihre Analyse nutzen die Forscher Erbgutschnipsel namens SNPs (ausgesprochen als „snips“). „Dabei handelt es sich um Markierungen für häufig auftretende Unterschiede in einzelnen DNA-Bausteinen, die den größten Anteil genetischer Variabilität im Menschen ausmachen“, erklärte Sven Cichon, Humangenetiker und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum. „Ein typischer SNP ist eine Stelle im Genom, an der über die gesamte Bevölkerung gesehen zwei Varianten vorkommen: als die DNA-Bausteine Cytosin oder Thymin.“ SNPs kommen gleichmäßig verteilt in der gesamten DNA einer Person vor, mehrere Millionen allein im Genom einer Person. Manche dieser SNPs beeinflussen individuelle Merkmale, wie das Aussehen, Begabungen, die Anfälligkeit für Toxine oder bestimmte Krankheiten. Ein wichtiges Ziel biomedizinischer Forschung ist es, solche SNPs zu identifizieren. Da SNPs oft Einfluss auf die Funktion bestimmter Gene haben, können hieraus wichtige Erkenntnisse über die molekularen Prozesse abgeleitet werden, die bestimmten individuellen Merkmalen zugrunde liegen.

Das ENIGMA-Konsortium konnte nun 306 SNPs identifizieren, die sich auf die Dicke und Oberfläche der Großhirnrinde auswirken. Insgesamt lässt sich durch den Einfluss von SNPs etwa ein Drittel (34 Prozent) der in der Bevölkerung beobachteten Variabilität in der Oberfläche der Hirnrinde erklären, sowie etwa ein Viertel (26 Prozent) der Unterschiede in ihrer durchschnittlichen Dicke. „Häufige genetische Varianten, die jeder Mensch in sich trägt, machen also einen bedeutenden Anteil an der Ausbildung der menschlichen Großhirnrinde aus“, folgert Thomas Mühleisen, Biologe in der Arbeitsgruppe Cichon.

„Wir beobachteten hochsignifikante Assoziationen zwischen einzelnen SNPs und der Gesamtoberfläche des zerebralen Kortex“, erklärte Svenja Caspers, Anatomin und Arbeitsgruppenleiterin am Forschungszentrum Jülich sowie verantwortlich für die Jülicher 1000-Gehirne-Studie. „Insbesondere zeigten sich Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Gesamtoberfläche sowohl mit der allgemeinen kognitiven Funktion als auch mit dem Bildungsniveau der Testpersonen“, ergänzte Christiane Jockwitz, Psychologin aus der Arbeitsgruppe Caspers. „Darüber hinaus fanden wir im Abgleich mit genetischen Daten von Patienten auch Zusammenhänge zwischen der Gesamtoberfläche und der Parkinson-Krankheit“, sagte Cichon weiter. Allerdings deutete nichts darauf hin, dass die Krankheit dadurch verursacht werde. Auch SNPs für Schlaflosigkeit, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), depressive Symptome, schwere depressive Störungen und Neurotizismus korrelieren mit der Gesamtoberfläche des zerebralen Kortex.

Die Analyse der Funktionsweise und Aktivität der gefundenen Gene legt nahe, dass SNPs, die die Größe der Oberfläche der Großhirnrinde beeinflussen, in der frühen Entwicklung beim Embryo aktiv sind. „SNPs, die mit der durchschnittlichen Dicke der Hirnrinde korrelieren, weisen dagegen auf Gene hin, die an Entwicklungsprozessen im späteren Embryonalstadium beteiligt sind“, sagte Cichon hierzu. Dazu gehören beispielsweise die Verzweigung und Auf- und Abbau von Synapsen, ebenso wie die Isolierschicht der Nervenfasern, die sogenannte Myelinisierung.

Werden diese Ergebnisse zusammen betrachtet, unterstützen sie die Hypothese, dass die Ausdehnung der Oberfläche und Zunahme der Dicke der Hirnrinde durch unterschiedliche Entwicklungsmechanismen gefördert werden. „Dies entspricht dem sogenannten Radial-Unit-Modell der neuronalen Wegfindung“, so Caspers. „Das Modell beschreibt die Entwicklung der kortikalen Schichten des menschlichen Gehirns mithilfe von speziellen Zellen im Nervengewebe, den Gliazellen, die als Gerüst wirken und Nervenzellen, die daran entlang wandern und die Schichtung aufbauen. Kein anderes Organ im menschlichen Körper wird auf diese Weise gebildet.“


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