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Berlinale 2020

Thema dieses Heftes ist 100. Hm, das Thema kommt 30 Jahre zu früh. Die Berlinale wurde gerade „erst“ 70. Aber wir haben Filme gesehen, die wir mit 100 % reinem Gewissen weiterempfehlen können. Von Peer Kling & Elisabeth Niggemann

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Die Schauspieler-innen des mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Beitrags aus dem Iran „There Is No Evil“ bei der Pressekonferenz ihres Films : V.l.n.r.: Shaghayegh Shourian, Mohammad Valizadegan, Jila Shahi und Baran Rasoulof, die Tochter des Regisseurs Mohammad Rasoulof. Sein Platz blieb leer - Ausreiseverbot. Foto: Peer Kling
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Auf ihrer Homepage bezieht die Berlinale (Selbstdar-)Stellung: „Der Wettbewerb ist das Herzstück und die Visitenkarte des Festivals. Er bietet einen detaillierten Einblick in die Gegenwart und die Zukunft des Kinos. Der Wettbewerb zeigt die besten Filme der Auswahl eines Kinojahrgangs – unabhängig davon, ob sie von etablierten Regisseur*innen oder Nachwuchstalenten stammen. Als Gravitationszentrum des Festivals bündelt der Wettbewerb die Energie der Berlinale und strahlt in die Welt hinaus. Er steht im Fokus der Aufmerksamkeit und zeigt einige der meist-diskutierten Filme des Jahres, die oft hitzige Debatten anregen. … Er reflektiert die Welt, in der wir leben, und setzt sich zu ihr in Beziehung: Die Filme ermöglichen den Zuschauer*innen, ihren eigenen Platz in der Welt besser zu verstehen und den Standpunkt anderer Menschen zu respektieren.“

Zudem versteht sich die Berlinale auch unter der neuen Leitung weiterhin als ein politisches Festival. Die Berliner Filmfestspiele werden von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien wesentlich gefördert. Kulturstaatsministerin Monika Grütters ergriff bei der Eröffnung mit klugen Worten Partei für Demokratie und Freiheit als Reaktion auf die kurz zuvor verübten Morde von Hanau. Ein dunkler Schatten lag über der festlichen Eröffnung.
Tröstlich war immerhin, dass das Ende Dezember in China zum ersten Mal auftretende Coronavirus die Berlinale nicht zu Fall brachte. Einige Wochen später und die Bilanz hätte nicht so gut ausgesehen: Rund 22.000 Fachbesucher aus 133 Ländern kamen zum Festival. Ihren Ruf als Publikumsmagnet hat die Berlinale mit rund 330.000 verkauften Tickets erneut bekräftigt. Wir geben Monika Grütters Recht, wenn sie resümiert: „Die Berlinale hat ihren Anspruch als dezidiert politisches Filmfestival gerade in diesem Jubiläumsjahr eindrucksvoll bewiesen.“ In einem spannenden Programm habe die Berlinale „die Themen unserer Zeit verhandelt, menschliche Schicksale hinter abstrakten gesellschaftlichen Entwicklungen sichtbar gemacht und ja: auch die Grenzen des künstlerisch Zumutbaren zur Disposition gestellt“.

Das Leben des Regisseurs Mohammad Rasoulof ist bedroht.
change.org meldet am 13.3.: Das Coronavirus hat in ganz Iran und damit auch in den Gefängnissen Einzug gehalten und ist außer Kontrolle geraten. 
Die Gefangenen werden dort zusammengepfercht unter hygienisch äußert schlechten Bedingungen gehalten, so dass die akute Gefahr einer Ansteckung sehr hoch ist. 
Viele Quellen berichten über unzählige Corona-Infizierte und Tote in den iranischen Gefängnissen. 70.000 Gefangene wurden daher vorübergehend nach Hause geschickt.
Dazu gehören aber nicht die tausenden politischen Gefangenen (darunter auch die Demonstranten der Novemberbewegung). 
Foto: Berlinale
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Als wir „Sheytan Vojud Nadarad“ („There Is No Evil“; „Es gibt kein Böses“) des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof sahen, war sofort klipp und klar: Das ist der Gewinner des Goldenen Bären für den besten Film. Die anschließende Pressekonferenz war berührend. Die Produzenten der iranisch-tschechisch-deutschen Koproduktion standen Rede und Antwort. Der Stuhl des Regisseurs blieb leer, Ausreiseverbot. Seine Tochter Baran Rasoulof, die als Schauspielerin an dem Episodenfilm beteiligt war, nahm später den Goldenen Bären stellvertretend entgegen. Mohammad Rasoulof war 2019 Jahr wegen „Propaganda“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, war aber bislang innerhalb der Landesgrenzen auf freiem Fuß. Wenige Tage nach der Preisverleihung wurde er per SMS aufgefordert, sich beim zuständigen Richter zu melden und seine Haftstrafe anzutreten. Die Haftanstalten sind überfüllt. Sein Anwalt riet ihm, der Aufforderung wegen der Coronavirus-Krise nicht nachzukommen.

In dem eindrucksvollen Film, dessen Vorführung wir für Jülich ersehnen, geht es um die Todesstrafe im Iran. Vorher „Gute Unterhaltung“ zu wünschen, wäre sarkastisch, vielleicht eher „einen anregenden Filmabend“ oder einfach „eine gute Projektion“, wie wir es oft in Berlin hören. Wir möchten im Vorhinein nicht zu viel zu den Figuren, der Handlung und den Verflechtungen sagen. Andererseits möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass der von Tragik durchzogene Film, der nicht an Schockelementen spart, doch auch einfach spannend ist und voll menschlicher Wärme. Es bleibt Raum für Hoffnung. Schuld und Verzeihen sind Thema, auch Ohnmacht. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind sehr gut, und außerdem bekommen wir wunderschöne Landschaften des Iran zu sehen.

Die Schauspielerin Baran Rasoulof stellt im Film eine junge Frau dar, die widerwillig von Deutschland in den Iran reist, um eine besondere Wahrheit aus erster Hand zu erfahren.
Hier auf der Pressekonferenz zum Film schildert sie die Ähnlichkeit ihrer persönlichen Lebensumstände mit der Filmrolle. Später bei der Preisverleihung vertrat sie ihren 
vom Ausreiseverbot betroffenen Vater und nahm stellvertretend für den Regisseur Mohammad Rasoulof den Goldenen Bären entgegen. Foto: Peer Kling

Vor fünf Jahren hat schon einmal ein iranischer Film den Goldenen Bären bekommen. Das war „Taxi Teheran“, eine iranische Dokufiktion von Regisseur Jafar Panahi. Der mit einem Berufsverbot belegte Regisseur hatte den Film wie bereits zwei Filme zuvor heimlich produziert und zur Präsentation auf internationalen Festivals außer Landes geschmuggelt.
Unserer Meinung nach hätten wir auf einige Wettbewerbsfilme auch gut verzichten können. Die Reihe Berlinale Special bot Interessantes. Im Mai-Heft würden wir gerne einige Beispiele daraus vorstellen: „Charlatan“, „Minamata“, „My Salinger Year“ oder „Curveball“ zum Beispiel.

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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