Um gegenseitigen Respekt, Rücksichtnahme und die Regeln des Zusammenlebens zu lernen war der Kreis von Vater, Mutter, Großeltern, Tanten und Onkeln das beste „Klassenzimmer“. Seit Alleinerziehende und Ein-Kind-Familien zur Normalität geworden sind, fehlt es am Lernort „Familie“. Hier füllen Mehrgenerationenhäuser ein Vakuum, wie im Katholischen Bildungswerk Düren-Eifel.
Es ist Donnerstag. Hochbetrieb in der Holzstraße 50. Die Kinder haben gemeinsam gegessen und sitzen jetzt bei den Hausaufgaben, während die erste Gruppe „Hochaltriger“, wie sie genannt werden, sich mit Kursleiterin Ruth Klein „Fit für 100“ machen. In der Kleiderkammer werden Kundinnen und Kunden bedient, derweil Gastgeberin Inge Meininghaus mit frischgebackenem Kuchen im Café zugange ist und den Tisch für die kommenden Gäste deckt.
„Der Franz ist ja in Urlaub, der kommt nicht“, sagt eine ältere Dame zu ihrer Sitznachbarin, die ergänzt: „Ja und die Trude ist krank, die kommt auch nicht. Aber was mit Maria ist… da muss ich mal dringend anrufen.“ Man achtet aufeinander im Mehrgenerationenhaus. Im Idealfall kommt auch die Enkelgeneration zu Kaffee und Kuchen dazu. Helga Conzen, in Personalunion Leiterin des Mehrgenerationenhauses und des Bildungsforums, erzählt: „Das gelingt nicht immer, manchmal ist es den Senioren zu viel.“ Also genau so, wie es normalerweise zu Hause ist: Man kann sich begegnen, man muss aber nicht. „Die grundsätzliche Idee ist, in unserer Gesellschaft wieder Anlässe zu schaffen, damit verschiedene Generationen etwas gemeinsam tun – wie früher in den Großfamilien.“
Vom Ausprobieren, resonanzlosen guten Ideen und Dauerbrennern
Helga Conzen ist eine „Frau der ersten Stunde“. Für die Pilotrunde vor elf Jahren hatte sie ihr Konzept eingereicht und konnte bundesweit als eine von 450 Einrichtungen vor zehn Jahren das Dürener Haus eröffnen. „Wir haben in den Jahren vieles ausprobiert, einiges haben wir auch wieder gelassen und anderes kristallisiert sich als gut und sinnvoll heraus.“ Da drängt sich natürlich die Frage auf, wo sich die „Spreu vom Weizen“ getrennt hat? Hier regelt sich das meiste genau wie auf dem freien Markt durch Angebot und Nachfrage und manches baut sich einfach aufeinander auf und hat sich perfekt eingespielt.
Ein Beispiel: „Wir wollten junge Leute qualifizieren, ältere Menschen zu begleiten. Menschen, die zum Beispiel im Rollstuhl geschoben werden müssen. Da gibt es spezielle Qualifikationen. Kollegen haben das auch schon in Landkreisen gemacht, die ähnlich strukturiert sind wie Düren, aber das hat hier nicht funktioniert. Es hat sich keiner gemeldet und wir haben keinen Kooperationspartner gefunden. „Alles lebt von den Beziehungen und guten Kontakten,“ sagt Conzen und eine gute Idee ohne Resonanz bleibt eben nur eine gute Idee.
Eine enormes Interesse dagegen gab es auf die Handysprechstunde für Senioren. Die Zeiten, in denen Handys nur zum Telefonieren benutzt wurden, sind längst vorbei.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich einiges am Konzept verändert
Weitere Dauerbrenner sind Nähkurse, Spielenachmittage und das gemeinsame Kochen und Backen, das wirklich generationenübergreifend von Jung bis Alt beliebt ist. Dafür hat Helga Conzen extra einen Fleischwolf angeschafft. „Das kannten viele Kinder nicht und die Älteren freuten sich, weil sie es lange nicht gemacht haben.“
Nachhaltigkeit wird im Mehrgenerationenhaus seit Jahren groß geschrieben. Aus diesem Grund gibt es jetzt auch zweimal im Jahr einen Mädelsflohmarkt. Die Kleiderkammer öffnet zweimal in der Woche und unser Bücherschrank ist auch für jedes Lesealter gut bestückt. Nicht mehr wegzudenken sind auch die Gesprächskreise für Angehörige von demenziell erkrankten Menschen; hier kommen Ehepartner, Kinder, Schwiegerkinder und Enkelkinder zusammen: nicht selten entstehen daraus auch Freundschaften.
„Wichtig ist, dass es wirklich ein Angebot für alle Generationen da ist und man sich begegnet. Idealerweise stehen Kinderwagen neben Rollatoren aufgereiht.“
Gehören denn nicht viele der Angebote eigentlich zum „Bildungsforum“? Die Grenzen, so erklärt die Leiterin, sind fließend. Rund 1000 Veranstaltungen bietet das Forum im Jahr an, aber diese haben sich eben mit der Einrichtung zum Mehrgenerationenhaus verändert. Früher gab es vor allem Eltern-Kind-Gruppen – dafür aber keine Angebote für Menschen, die von Demenz betroffen sind, also Erkrankte wie Angehörige. Zwingend vorgeschrieben ist auch die Einrichtung des Cafés, in dem ein internetfähiger Computer stehen muss – auch wenn er, wie in Düren nur selten genutzt wird.
Gestemmt wird das Mamut-Projekt Bildungsforum-Mehrgenerationenhaus mit fünf Pädagogen. Zwei davon sind Helga Conzen als Leitung und Bernhard Rietfort als Stellvertreter als Vollzeitbeschäftigte, die übrigen sind Teilzeitkräfte. Zwei Verwaltungskräfte und eine Teilzeit-Buchhalterin vervollständigen mit zwei Reinigungskräften und einem Hausmeister das Team. Ergänzt wird es mit derzeit 25 Ehrenamtlichen im Mehrgenerationenhaus und rund 150 bis 200 Dozenten im Forum.
Inzwischen läuft für das Mehrgenerationenhaus „Runde 3“ und auch hier hat das Dürener Haus wieder den Zuschlag bekommen. Denn die beste Idee ist ohne Geld und ohne Personal natürlich nichts. Beides gehört untrennbar zusammen. Die Hälfte des Jahresbudgets fließt in die Finanzierung einer Pädagogenstelle.
„Das Konzept hat sich jetzt ein stückweit dahingehend verändert, dass man jetzt Schwerpunkte bilden muss“, erläutert Helga Conzen. In Düren ist es neben der Quartiersarbeit die Arbeit mit Migranten. Hierfür sind aus Fördermitteln Spiele angeschafft worden, die angefordert werden können und dann per Auto zu den Entleihern gebracht werden. Eingestielt hat Helga Conzen das Projekt beim Neujahrsempfang im Dürener Rathaus mit einem Vertreter der Sparkasse als Sponsor. Alles lebt eben von Beziehungen und guten Kontakten.
Das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser hat Ursula von der Leyen als niedersächsische Familienministerin initiiert und nach ihrem Wechsel in das Amt der Bundesfamilienministerin auch bundesweit etabliert. Die erste Ausschreibungsphase wurde im Herbst 2006 abgeschlossen. Schon hier war die Dürener Einrichtung erfolgreich. Für die Dauer von fünf Jahren erhielten die Mehrgenerationenhäuser Zuschüsse in Höhe von 40000 Euro pro Jahr. Zwischenzeitlich war ist der Zuschuss auf 30000 Euro pro Jahr gesenkt worden.