Jülich in den 1950er Jahren: Die Herzog Wilhelm Stuben und Haus Hesselmann sind noch nicht Geschichte. Clubsessel und Nierenspiegel gehören zu den gut-bürgerlichen Accessoires des Hauses wie das klobige Wählscheibentelefon. Mit großer Liebe zum Detail hat Andrea Heinrichs sich der Bühnenausstattung angenommen. Großartig, stimmig und ein herrliche Kulisse für die Damen im Petticoat mit hochtoupierten Haaren und für die Herren mit Hosenträgern zum Anzug, wahlweise auch mit Pullunder oder als Halbstarke in Lederjacke. Das ist einfach stimmig bis zum blauen 100-Mark-Schein, der den Besitzer wechselt. Apropos: Wenn Gassenhauer wie „Seemann“ – von 1957 – oder „Ich will ’nen Cowboy als Mann“ – 1963 (sei’s drum…) – als Umbaumusik erklingen, dann hört man, dass auch die Zuschauer textsicher sind. Ein leises Mitsingen macht sich laut und gehört einfach mit zum Charme der Aufführung im Andreashaus.
Die Familienbande, um die es geht heißt… Knipprath. Ein „Insider“ für Einheimische. Spaßeshalber hat man die Ursprünge nach Neuss verlegt – allerdings mit der Option, den Ruhestand in Jülich zu verbringen. Wörtlich: „Jülich im Alter ist schöner als Köln.“
Bedient werden Klischees im besten Sinne: Zwischen Zickigkeit und beißendem Spott entwickelt Rita Hamacher die Gattin und Schwiegermutter Karoline Knipprath, die dann wieder zu zuckersüßen Muttergefühlen gegenüber der etwas naiven Tochter Luise fähig ist. Die frisch Verheiratete spielt Anna Geiger mit Schmollmund und Augenaufschlag frisch aus den „50ern“. Leo Knipprath ist der erfolgreiche Geschäftsmann aber geschundene Ehemann, der mit komischer Überzeugungskraft von Hans Dieter Emunds in Szene gesetzt wird und seinem Schwiegersohn Martin als Lebemann in nichts nachsteht. Der Senior kann das aber dank Lebenserfahrung besser kaschieren. Julian Schmitz stellt den Jungvermählten Martin auf die Bühne, der sich die Hörner noch nicht so ganz abgestoßen hat, wobei er dummerweise auf seinen alten Freund Paul Kleefisch trifft. Markus Heinrichs setzt ihn in Szene. Er ist die zentrale Figur, ist flexibel, überzeugend, Hosenrolle, Rockrolle – mühelos gelingen sie ihm. Er ist der kongeniale Partner von Julian Schmitz. Es ist ein tolles Duo, das sich Stichworte, Gesten und Mimik zuspielt.
Da fehlt doch noch etwas in der klassischen Besetzung: Die „Jungfer“! Großartig in Lackschuhen und rüschenbesetzten Söckchen mit 100 wechselnden Gesichtszügen gespielt von Andrea Heinrichs, die sich von Ferdi Wagemann als peniblem Bürokrat getarntem Architekten und Gernekegler Ernst Hasenfeld in den Bund der Ehe einladen lässt. Das „Nesthäkchen“ Yasmin Hilgers gibt eine herrlich bodenständige „Gerda“, die fast die „Normalste“ der Familienbande ist. Und die „Kurtisane“: Regisseurin Heike Hilgers ist die Göttin von Geilenkirchen in schrillem Outfit und einer Schlitzohrigkeit, die einfach Spaß macht und überzeugt. Zur klassischen Verwicklungsgeschichte dazu gehören Überraschungsfiguren, die von Hans Nehr alias Alfred Schmitz und seiner Tochter Melitta alias Sandra Peters gespielt werden.
Jetzt fehlt noch eine Figur. Eine, die im bürgerlichen Haushalt der 1950er Jahre ein Zentrum der Macht ist und so legt Petra Brandt die Rolle auch an: Die Haushälterin, „Hochzeitsgeschenk“ der Schwiegermutter, also Spionin oder „Alexa“ der Vorzeit. Sie trägt sofort ins Ohr von Frau Knipprath, was sich im Hause der Tochter zuträgt. „Kathi“ ist nie um einen Kommentar im rheinischen Zungenschlag verlegen, ranzt Gäste an, die sich die Schuhe nicht abputzen und ist ständig präsent mit ihrem Staubwedel. Einfach großartig.
Einziger Wermutstropfen: Zum Besuch angeregt werden kann niemand mehr. Die vier folgenden Aufführungen sind restlos ausverkauft, wie Hans Dieter Emunds in einem Nebensatz erwähnte, als er seinen Dank an Bühnenbauer und Thekenmannschaft, Techniker Mario Möres, Wilfried Heinrichs und Robert Seifert, sowie den Souffleur Hans Scheiba aussprach.