Die Studie umfasste 224 Menschen, die nur eine Sprache sprechen und 175 Personen, die zwei Sprachen fließend beherrschen. „Unser Augenmerk lag auf zwei bestimmten Regionen in der linken Gehirnhälfte, die unter anderem für ihre Rollen in der Sprachverarbeitung bekannt sind“, erklärt Prof. Dr. Stefan Heim, Leiter der Arbeitsgruppe „Neuroanatomie der Sprache“ am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin und Professor an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Uniklinik RWTH Aachen.
Konkret untersuchte das interdisziplinäre Forscherteam aus Medizinern, Psychologen, Linguisten und Logopäden per Magnetresonanztomographie, wie ausgeprägt das Volumen der grauen Substanz im hinteren unteren Teil des linken Stirnlappens und im unteren linken Scheitellappen ist. „Diese beiden Gehirnregionen sind zum Beispiel für das Sprachverstehen und die Sprachproduktion wichtig“, erläutert Stefan Heim, der auch die RWTH-Studiengänge für Logopädie leitet. „Bestimmte Teilbereiche dieser Regionen arbeiten oft zusammen, sind also funktionell und anatomisch bei allen Menschen eng verknüpft“, ergänzt Heim.
Die Forscher konnten nun belegen, dass die graue Substanz der beiden Regionen, beim Erwerb einer zweiten Sprache in jungen Jahren zunächst ein deutlich höheres Volumen hat. Die graue Substanz ist reich an Nervenzellkörpern. Die Wissenschaftler erklären die Zunahme in dieser Schicht mit einer stärkeren Vernetzung der benachbarten Nervenzellen untereinander. Mit fortschreitendem Alter, so zeigt es die Studie, nimmt das Volumen der grauen Substanz der beiden Gehirnbereiche sowohl bei Einsprachlern als auch bei Mehrsprachlern sukzessive ab. Jedoch liegt das Volumen der Sprachregion im Stirnlappen von Mehrsprachlern bis zu einem Alter von rund 60 Jahren immer etwas höher als bei Einsprachlern. Dann erst gleichen sich beide Gruppen an und zeigen hier keine Volumenunterschiede mehr. Das Areal im Scheitellappen bleibt nach den Erkenntnissen der Forscher sogar noch länger stabil. Erst im Alter von rund 80 Jahren konnten die Forscher keinen Volumenunterschied der grauen Substanz der Region im Scheitellappen zwischen Mehrsprachlern und Einsprachlern mehr ausmachen.
„Ein Zuwachs an grauer Substanz geht nach unserer Erfahrung mit einem Zuwachs der kognitiven Reserve einher – also einer besseren geistigen Leistungsfähigkeit und Flexibilität“, sagt Stefan Heim. „Zunächst sieht es also so aus, als wenn der Vorteil durch das Erlernen einer zweiten Sprache besonders in jungen Jahren ausgeprägt ist und sich im Alter wieder angleicht“, meint Heim. „Aus den Arbeiten anderer Forschergruppen wissen wir aber, dass der Vorteil nicht einfach verschwindet. Der Überschuss an grauer Substanz wandelt sich mit der Zeit, je fester die neue Sprache ’sitzt‘, in eine engere Vernetzung der Areale und stärker ausgeprägte Kommunikationsleitungen in der weißen Substanz um“, ergänzt er. „Der Informationsaustausch zwischen den Gehirnregionen wird dadurch vereinfacht und ist somit stabiler und effektiver“, fügt Heim an. Dies könnte erklären, wieso Mehrsprachler im Alter oftmals länger geistig fit bleiben.
Prof. Dr. Dr. Svenja Caspers, Direktorin des Instituts für Anatomie I der Universität Düsseldorf und Leiterin der Arbeitsgruppe Konnektivität und der 1000-Gehirne-Studie am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin, sagt: „Nachdem wir nun wissen, wie sich die graue Substanz in den beiden Sprachregionen bei Mehr- und Einsprachlern strukturell verändert, möchten wir in einer Folgestudie herausfinden, wie sich die funktionelle ‚Verkabelung‘ – also die Konnektivität – der beiden Sprachregionen bei Mehrsprachlern und Einsprachlern im Alter darstellt“, beschreibt sie das weitere Vorgehen. „Uns interessiert, wie genau sie interagieren und wie sich dies über die Lebenszeit wandelt“, fügt sie an. „Eine weitere spannende Frage ist, ob das Erlernen einer zweiten oder dritten Sprache mit Eintritt in das Rentenalter einen Vorteil für die geistige Leistungsfähigkeit bringt“, sagt sie. „Das wäre für viele Menschen eine praktikable und einfache Methode, eine zusätzliche kognitive Reserve aufzubauen“, betont sie abschließend.