Adelheid Sofia Siegeroth, die lieber Heidi genannt wird, stammt gebürtig aus Jülich. Hier begann auch ihr Werdegang als Buchbinderin. Sie erzählt uns über ihren außergewöhnlichen, leider auch beinahe ausgestorbenen, Beruf und viele Zufälle.
Herzog: Was verbindet dich mit Jülich?
Heidi: Ich bin hier geboren. Mit 23 bin ich aber nach Aachen gezogen. Ich verbinde mit Jülich viele schöne wie auch traurige Erinnerungen an ein erlebnisreiches und aufregendes Großwerden. Ich denke wirklich gerne an diese Zeit zurück.
Herzog: Wie bist du an die Buchbinderei gekommen?
Heidi: Purer Zufall. Ich bin zu meinem Fachlehrer gegangen und habe gesagt, dass ich gerne eine handwerkliche Ausbildung hätte. Er war zufällig Buchbinder. Und dann habe ich zwei Tage später mit der Ausbildung angefangen.
Herzog: Ist Buchbinden deiner Meinung nach ein typischer Männerberuf?
Heidi: Ursprünglich war es ein Männerberuf. Dazu gibt es eine Anekdote: Mein Chef hat mir damals erzählt, dass es in den 70er Jahren Fördergelder gab, wenn Buchbindereien und andere handwerkliche Betriebe bereit waren, Frauen oder Behinderte einzustellen. Daraufhin wurde Buchbinden ein Frauenberuf.
Herzog: Was macht deine Arbeit für dich aus?
Heidi: Spaß. Ich habe einfach Freude daran. Ich kann mit sehr wenigen Mitteln sehr viele Dinge machen. Ich brauche nicht viel. Ich brauche kaum Maschinen, es ist sehr handwerklich, es sind Materialien, die man überall findet, man kann fast alles verarbeiten an Papier, man braucht nicht mal eine Werkstatt. Ich habe meine Selbstständigkeit wirklich am Wohnzimmertisch angefangen.
Herzog: Wo kreierst du deine Arbeiten heute?
Heidi: Ich habe kein Geschäft. Ich habe eine kleine Werkstatt in Aachen.
Herzog: Wo kann man das Handwerk des Buchbinders heute noch erlernen?
Heidi: Natürlich in klassischen Betrieben. Es gibt allerdings nur noch sehr wenige. In Aachen sind innerhalb von nur drei Jahren von vier Betrieben nur noch zwei übrig geblieben, wozu ich mich auch zähle, wobei ich kein Ausbildungsbetrieb bin. Also gibt es dort nur noch einen. Man muss sich darüber im klaren sein, dass man sich nach der dreijährigen Ausbildung meist selbstständig machen muss. Viele wählen die Ausbildung aber auch zur Vorbereitung auf andere gestalterische Ausbildungen oder das Studium an der Fachhochschule.
Herzog: Du bist an der FH Aachen tätig. Was machst du da genau?
Heidi: Ich bin dort Lehrbeauftragte und leite den Buchbindekurs für die Studenten. Die Arbeit dort ist für mich einfach toll. Aber auch die Stelle an der FH kam durch Zufall. Ich glaube, mein ganzes Leben besteht aus Zufällen.
Herzog: Du bezeichnest deine Arbeit als „Papierdesign“. Ist es daher für dich mehr als nur Buchbinderei?
Heidi: Ich stelle ja vor allem typische Geschenkartikel her. Das liegt mir einfach mehr. Ich arbeite lieber frei. Ich habe auch nicht so den Bezug zur Restaurierung. Ich überlege mir selbst gern Sachen, die ich mache, und habe wenig Lust Arbeiten anderer Leute nachzuvollziehen. Ich versuche auch immer nicht zu gucken, was die anderen machen. Ich hasse dieses Nachbauen. Ich nenne das immer Befruchtungsmarkt, wenn einige Menschen ihre Bastelarbeiten auf gewissen Internetseiten zum Verkauf einstellen und so ihre Ideen anderen schenken.
Herzog: Auf deiner eigenen Homepage findet man deine ganzen Arbeiten. Woher nimmst du denn deine Ideen?
Heidi: Ich bin Gestalter. Viele Dinge entstehen durch Zufall. Ich entwerfe zum Beispiel Fotokisten. Eine Kiste ist entstanden, als ich den Studenten an der FH gezeigt habe, wie es funktioniert. Die war irgendwie rührend und ich habe dann daran weitergearbeitet. Natürlich hat man immer Einflüsse von außen, aber ich versuche bewusst nicht nach rechts und links zu gucken. Ich gucke lieber in fremden Gewerben, nicht bei Buchbindern. Es gibt ja eigentlich alles schon, darum muss man seine eigene Form finden.
Herzog: Du arbeitest oft mit seltenem Papier, beispielsweise aus Venedig. Wo beziehst du dein Papier her?
Heidi: Ich fahre auf Messen. Ich kaufe im Buchbindebedarf ein. Ich nutze aber mittlerweile gern die Kontakte zu den Studenten, um mit ihnen gemeinsam eigene Papiere zu entwerfen und auch drucken zu lassen. Das schafft dann natürlich auch ein gewisses Alleinstellungsmerkmal.
Herzog: Was war dein prägenster Auftrag?
Heidi: Mein allererster Auftrag. Das war ein Gästebuch für das Solarinstitut in Jülich. Das war sehr experimentell, wild und wäre heute so nirgendwo machbar oder verkaufbar. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Glück diesen Rahmen zu haben. Heute würde ich auch sagen „total schräg“. Aber es war das allererste Mal, dass ich mich von der klassischen Buchbinderei entfernt habe und einfach versucht habe, mehr zu machen. Das war total aufregend. Ich bin zu meinem Onkel, der Schreiner ist, weil dieses Buch mehr Obkjekt war als Buch, von außen konnte man gar nicht sehen, dass es sich um ein Buch handelt. Ich habe mich an Dinge rangetraut, zu denen ich noch keinen Bezug hatte. Da habe ich entdeckt, dass mehr möglich ist, als ein klassischer Einband.
Herzog: Merkst du was vom Zeitwandel im Handwerk?
Heidi: Es gibt ja eine neuartige „Handmadekultur“, wo junge Leute, die aus einem anderen Bereich kommen, das Handwerk für sich neu entdecken und wieder den Gedanken des selbst Produzieren haben, vielleicht auch aus einer Notwendigkeit heraus. Man muss selbst innovativ für sich einen Weg finden und dann versuchen eine Produktion auf die Beine zu stellen. Viele kommen daher nicht klassisch aus dem Handwerk, sondern aus dem Designbereich beispielsweise. Es gibt viele Queereinsteiger. Aber ausgebildete Buchbinder gibt es immer weniger. Das betrifft ja auch viele andere Handwerksberufe.
Herzog: Wo wir beim Wandel der Zeit angekommen sind, stellt sich die Frage: Liest du lieber gedruckte Bücher oder Ebooks?
Heidi: Ich kann mir nicht vorstellen einen Ebook Reader zu benutzen. Wenn ich ein Buch lese, dann ein richtiges. Papier fühlt sich gut an, es ist warm, es verändert sich. Ich glaube aber auch, dass es eine Generationsfrage ist. Ich bin damit nicht aufgewachsen, Ebooks sind mir einfach fremd.
lamechky