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Festrede zu 29 x 11 Lazarus

Liebe Lazarusbrüder, liebe Träger des Hexenturmordens, liebe Karnevalisten, Exzellenzen, Eminenzen, Präsidenten, Prominenzen hochverehrte Anstaltsleitung – Danke für den großzügig gewährten Freigang! – meine sehr verehrten Damen und Herren,

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Guido von Büren bei der Festrede zu 29 x 11 Historische Gesellschaft Lazarus Strohmanus. Foto: Dorothée Schenk
Guido von Büren bei der Festrede zu 29 x 11 Historische Gesellschaft Lazarus Strohmanus. Foto: Dorothée Schenk
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es ist mir eine außerordentliche Ehre, angesichts eines solch herausragenden Jubiläums wie 29 × 11 Jahre Historische Gesellschaft Lazarus Strohmanus Jülich heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Dieser Moment ist wahrhaft historisch, schreiben wir doch mit jeder Veranstaltung in den altehrwürdigen Mauern der Stadthalle bis zu den närrischen Tagen im kommenden Jahr Geschichte: Es wird die letzte dieser Art vor dem Abriss sein. Das ist nun bezogen auf die Gesellschaft Lazarus Strohmanus nicht sinnbildlich zu verstehen, ganz im Gegenteil, zeigt sich doch unser Jubilar äußerst lebendig und hat gerade einen reibungslosen Generationswechsel vollzogen. Das ist viel Wert, blickt man auf die aktuellen Mühen einer solchen Staffelstabübergabe etwa im politischen Raum.

Nun ist der Lazarus Strohmanus auch in anderer Hinsicht eine ganz besondere Gesellschaft. Ihre Ursprünge reichen zeitlich weit zurück, was wiederholt die Aufmerksamkeit von Historikern und Volkskundlern auf sie gelenkt hat. Hier ist vor allem an unseren Ordensbruder Dietz-Rüdiger Moser zu erinnern, dem die Erforschung des Brauchtums des Lazarus Strohmanus zur Lebensaufgabe geworden war. Seine feinsinnige Analyse möchte ich hier nicht wiederholen, das kann man besser in der Jubiläumsschrift aus dem Jahr 2000 nachlesen, vielmehr kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass Dietz-Rüdiger Moser zu einem – neudeutsch würde man sagen – Markenbotschafter von Jülich geworden ist. Als Professor an der Universität in München hat er Generationen seiner Studentinnen und Studenten in Vorlesungen mit dem Lazarus Strohmanus bekannt gemacht. Das hat zur Folge, dass ich immer wieder Kolleginnen und Kollegen, die in München studiert haben, treffe und diese beim Stichwort „Jülich“ nicht mit fragendem Blick die Stirn in Falten legen oder – immerhin – auf die Themen Braunkohle oder Forschungszentrum kommen, sondern mit leuchtenden Augen vom Lazarus Strohmanus berichten, der sie durch ihr Studium begleitet hat.

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Insoweit sehe ich hier noch ein bisher ungenutztes Potenzial für das Jülicher Stadtmarketing. Nicht, dass das jüngst ausgerufene Muttkrat-Marketing, abzulehnen wäre, aber ein Lazarus-Marketing wäre doch viel besser! Eine Tasse haben wir ja schon; sicherlich fallen uns noch weitere Werbeartikel ein: kleine Schnapsgläschen mit Goldrand, die auch bei der Taufe des Lazarus einsetzbar wären, kleine Strohpuppen, die auch für Voodoo-Zauber geeignet sind, gesundheitspolitisch unkorrekt Aschenbecher und vieles mehr. Zudem ergäben sich wunderbare Möglichkeiten, passende Werbesprüche zu entwickeln. So könnte der Käsefachhandel in der Düsseldorfer Straße mit dem Bibelspruch werben: „Herr, er riecht aber schon!“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Heimmitbewohner, das Jubiläum, das es nun zu feiern gilt, ist ein närrisches. Daraus ergeben sich zwei Fragestellungen: Was hat es eigentlich mit der Zahl 11 im Hinblick auf den Karneval auf sich und gibt es einen spezifischen Witz und Humor in Jülich?

Schon mein Mathelehrer sagte immer: „Zahlen über 10 gehen gar nicht!“, das ist aber wohl nicht die Erklärung dafür, dass die Zahl 11 im Karneval eine große Rolle spielt. Die dahinter stehende Zahlenmystik lasse ich hier einmal beiseite. Am einsichtigsten erscheint mir, was auch in einschlägigen Darstellungen als Hintergrund angegeben wird:

„Die Tatsache, dass die Karnevalssaison am 11.11. eröffnet wird, hängt möglicherweise auch mit einem 40-Tage-Rhythmus zusammen, der im Jahreslauf zwischen bestimmten Festen regelmäßig auftritt. Vom 11. November, an dem auch St. Martin gefeiert wird, sind es genau 40 Tage bis zum Winteranfang, der zeitlich fast mit Weihnachten zusammenfällt. Am 11. November begann früher das 40tägige Weihnachtsfasten. Von Weihnachten an sind es wiederum 40 Tage bis zum Festtag Maria Lichtmess (2. Februar), der zugleich im Kalender der frühest mögliche Termin für den Karnevalsdienstag ist, den Vortag der Fastenzeit. Noch einmal trennen Fastnacht 40 Tage von Ostern, dem wiederum 40 Tage später Christi Himmelfahrt folgt.“ Der 11.11. war auch früher der Tag, an dem in der Landwirtschaft oder auf dem Bau abgerechnet und entsprechend gefeiert wurde. Letzteres tuen wir ja um den 11.11. herum auch.

Wie steht es aber nun um den Witz und den Humor in Jülich, die beide unabdingbarer Bestandteil des närrischen Treibens sind. Begeben wir uns auf eine nicht ganz einfache Spurensuche, wobei ich hier teilweise Überlegungen unseres völlig zu Unrecht verstorbenen Ordensbruders Erwin Fuchs folge. Jülich wurde um Christi Geburt gegründet, kann also auf eine gut 2000-jährige Geschichte zurückblicken. Im Schatten der römischen Provinzhauptstadt Köln entwickelte sich der Ort in der Kaiserzeit (2./3. Jahrhundert n. Chr.) zu einer ansehnlichen Siedlung mit etwa 1500 Einwohnern. Römische Kultur und Lebensart dürften hier tief verwurzelt gewesen sein. Die Römer sind für ihre ausschweifenden Festlichkeiten und ihre Lust an der Satire bekannt, aber wirkt so etwas wirklich nach – und wie lange? Mancher Forscher hat in Bezug auf Witz und Humor weit zurückreichende Traditionsstränge angenommen, belegen lassen sich diese jedoch nicht. Immerhin gibt es Analogien, so im Bereich der Karnevalsbräuche. Zu bedenken ist jedoch, dass die durchgreifende Christianisierung unseres Raumes seit dem Frühen Mittelalter für Brauchtum und Lebensgefühl vollständig neue Bezugspunkte geschaffen hat.

Zudem: Das typisch rheinländische, das selbstredend für Jülich gilt, entstand erst im 19. Jahrhundert mit der preußischen Herrschaftsübernahme im Rheinland. Erst dann bildete sich in Abgrenzung zu Preußen eine rheinische Identität aus. Wie diese funktioniert, mag eine Anekdote aus dem für Preußen so typischen militärischen Bereich verdeutlichen: In einer Kompanie ist ein Rheinländer, der ob seiner Herkunft und vor allem seines Dialekts, von den anderen gehänselt wird. Als es diesen selbst zu viel wird, reichen sie dem Rheinländer ihre Hände zur Entschuldigung und versichern ihm, ihn von nun in Ruhe zu lassen. Gelassen antwortet der Rheinländer: „Es jot, dann bruch ich üch och nit mieh en de Kaffee ze pisse.“ Hier zeigt sich der Rheinländer von seiner ordinären Seite, die sich auch gerne einmal im Niveau der Witze im Karneval Bahn bricht. Ein weiterer Wesenszug, der erkennbar wird, ist die ungebremste Schadenfreude. Die rheinische Mundart kennt dafür einen Ausdruck: „jrielaache“ oder „jriemeln“ (griemeln), was das Rheinische Wörterbuch als „verschmitzt, schadenfroh, heimtückisch, gehässig in sich hineinlachen, insbesondere spöttisch anlachen“ umschreibt.

Nun ist aber Vorsicht geboten, heutige emotionale Reaktionen in die Vergangenheit zu projizieren bzw. dort an belegten Aussagen festmachen zu wollen. Der Schadenfreude und dem Spott begegnet man aber tatsächlich schon bei den Römern. Ein bemerkenswertes Zeugnis etwas jüngerer Zeit sind die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Kölner Bürgers Hermann Weinsberg aus dem 16. Jahrhundert. Hier fällt die Situationskomik auf, die sich aus einer gewissen Schlagfertigkeit speist. Ein Beispiel aus dem Jahr 1528: Die Eltern von Hermann Weinsberg betrieben einen Weinausschank. Eine alte Frau hatte 13 Pinten Wein getrunken, weigerte sich aber den vollen Betrag zu entrichten mit der Begründung „In meinen Leib gehen nicht mehr als 12 Pinten.“ – „Es wurde gelacht, und es blieb dabei.“ Um einiges ernster war eine Episode aus dem Jahr 1582. Der Graf von Neuenahr befand sich wegen seiner protestantischen Gesinnung im Streit mit der Stadt Köln. Als dieser nun von Deutz über den Rhein setzte, beschossen ihn die Kölner mit Eisenkugeln. Während der Kölner Erzbischof darüber schwer erbost war, bemerkte der Kölner Domherr Graf von Tegen trocken: „Das wäre das Weihwasser aus Köln gewesen“.

Vergleichbares haben wir für Jülich erst aus den Jahren um 1800 mit dem Tagebuch des Privatlehrers Johann Krantz vorzuweisen. Auch hier finden wir die spöttische Zunge der Zeitgenossen. Nun muss man wissen, dass Krantz wenig von den Franzosen hielt, die seit 1794 in Jülich, wie im gesamten linken Rheinland das Sagen hatten. Die politischen Folgen der französischen Revolution lehnte er weitgehend ab.

Im April 1798 wurde auf dem Jülicher Marktplatz ein neuer Freiheitsbaum gepflanzt. Genüsslich bereitet Krantz das Szenario aus: „Die ganze Munizipalität erschien in ihrer Amtskleidung, der Präsident Königs namentlich trug einen hinten einmal aufgeschlagenen, mit langen Federn nach Art der alten Ritterhüte gezierten Hut. Da der Baum (eine Eiche) gepflanzt war, hielt der Abgeordnete der Zentralverwaltung namens Schommer eine Rede zu der versammelten Volksmenge, wovon aber, wie laut er redete, wegen dem Geschwätz und Geräusch wenig zu verstehen war; doch war dieser Ausdruck merkwürdig: dass der neu gepflanzte Baum himmelhoch wachsen und der Bürger unter seinem Schatten Glück und Segen finden sollte. Ein kühner Student erwiderte darauf: und die französischen Schweine die abfallenden Eicheln darunter aufsammeln sollen.“ Krantz berichtet übrigens für das Jahr 1798 auch von einem „spontanen“ Karnevalsumzug: „Den 21. Februar (Aschermittwoch) sahen wir eine Begebenheit, die auch der älteste Bürger nie gesehen hatte. Bürger, die die drei Fastnachtstage recht toll zugebracht hatten, ließen sich einfallen, die Fastnacht zu begraben. Man würde diesen Streich ihnen haben durch gehen lassen, so sie die Obrigkeit und Geistlichkeit dabei geschont hätten.

Die Geschichte verhält sich so: unter dem Vorritt eines maskierten Bürgers, gekleidet als Bataillonschef … erschien ein Leichenzug; eine Larve (eine maskierte Gestalt) in einem schwarzen Mantel trug eine Laterne voraus, dieser folgte eine andere in einem schwarzen Mantel, die die kurfürstliche Krone an eine Mistgabel geheftet trug. Auf dem schwarzen Tuch des Sargs war in Deutsch und Französisch geschrieben: Begräbnis des Despotismus. Dem Sarg folgten zwei Larven mit dem Habiten der hiesigen zwei Nonnenklöster gekleidet; endlich mehrere Larven, die verschiedene Mitglieder der Stadtobrigkeit so geschicklich vorstellten, dass man aus ihren Gebärden die Personen wohl erkennen konnten, die sie vorstellten. Der Zug durchwanderte die Straßen unter dem Lachen und Nachlaufen einer Menge Menschen. Endlich wurde auf dem Marktplatz getanzt…“.

Unbestreitbar findet sich der Rahmen für Witz und Humor des Jülichers wie des Rheinländers insgesamt in seiner ausgesprochenen Feierlaune. Gerade der preußische Staat tat sich mit diesem Umstand schwer, wie zeitgenössische Beschreibungen zeigen. So hielt Johann Nepomuk von Schwerz 1820 zur Charakterisierung des Jülicher Landvolks fest: „Der Landmann ist hier weniger tätig und fleißig als in den Gegenden, in welchen der Boden schlechter ist. Er hat viel Neigung zu Schmauserei und Trinkgelagen und ist ein großer Freund von Kirmeshalten und anderen Festlichkeiten…“. Bei Carl Brockmüller heißt es 1836 in seiner Beschreibung von Stadt und Kreis Jülich dagegen mit erkennbarem Wohlwollen: „Der Charakter der Einwohner ist vorherrschend sanguinisch (fröhlich und lustig), mit phlegmatischer Beimischung. Die gewöhnliche Mundart ist ein weiches, gezogenes Plattdeutsch … der holländischen Sprache in etwa ähnlich. – Auch der gebildete Eingeborene liebt diesen Dialekt, besonders in geselligen Kreisen, wo er die Unterhaltung sehr zuträglich und gemüthlich macht.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kinder, und damit biege ich auf die Zielgerade meiner Ausführungen ein, die personifizierten Jülicher Witzfiguren bzw. Witzefiguren sind „Julius“ und „Julia“. Hier stellt der ewige Geschlechterkampf eine weitere Quelle des Humors dar. Erwin Fuchs hat einige Witze von Julius und Julia zusammengestellt:

Als Julia, eine temperamentvolle junge Frau, abends nach Hause kommt, stehen neun Verehrer vor ihrer Wohnungstür. Sie sagt: „Es tut mir leid, meine Herren, aber ich hatte einen schweren Tag. – Einer von Euch muss gehen.“

„Julia, du bist die erste Frau, die ich liebe“, beteuert ihr ein Liebhaber. „Lever Jott, schon widder ne Anfänger“, klagt Julia. „Liebes Kind“, sagt Julius, „wenn wir erst verheiratet sind, werde ich alle deine Sorgen mit dir teilen“. Julia erwidert: „Aber ich habe doch gar keine Sorgen“. Julius: „Ich meine ja auch nur, wenn wir verheiratet sind.“ „Jetzt muss ich aber aufpassen, dass ich keine Kinder mehr bekomme“, sagt Julia zu ihrer Freundin. Die Freundin antwortet: „Ich meine, Dein Mann habe sich sterilisieren lassen.“ – „Ja, gerade deshalb.“

Julius und Julia besuchen eine Zaubervorstellung. Der Zauberkünstler ermuntert das Publikum: „Als Höhepunkt des Abends, möchte ich eine Frau verschwinden lassen.“ Julius sagt laut und deutlich: „Geh‘ rauf, Julchen.“

Wie resümiert Fuchs treffend zu diesen Witzen: Allem Anschein nach sind die Männer (wir ergänzen: und die Frauen) in Jülich gerne verheiratet, nur nicht täglich 24 Stunden lang.

In diesem Sinne wünsche ich der Historischen Gesellschaft Lazarus Strohmanus und uns: Ad multos annos!, wie der Lateiner sagt oder in Jülicher Mundart: Jod preck!

Vielen Dank!

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Guido von Büren
Eine echte Muttkrat und mit unbändiger Leidenschaft für Geschichte und Geschichten, Kurator mit Heiligem Geist, manchmal auch Wilhelm V., Referent, Rezensent, Herausgeber und Schriftleiter von Publikationen, Mitarbeiter des Museums Zitadelle und weit über die Stadtgrenzen hinaus anerkannter Historiker, deswegen auch Vorsitzender der renommierten Wartburg-Gesellschaft

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