Start Magazin Kunst & Design Ganz schön haarig

Ganz schön haarig

207
0
TEILEN
©HZG
©HZG
- Anzeige -

Haare – Hair, so hatte das Musical geheißen, mit dem Veränderungen, die unmerklich im Verborgenen herangewachsen waren, sich plötzlich wallend und wehend die Straßen der Metropolen eroberten und endlich auch auf die Provinz übergriffen. Zwischen gestärkten Manschetten, schlecht sitzenden Anzügen auf Wirtschaftswunderbäuchen und Schlipsen mit Windsorknoten, schossen plötzlich diese atomaren Pilzköpfe aus Afrolocken in die Höhe. Androgynes, hüftlang von platinblonden Mähnen umweht und Vogelnester aus „Dreadlocks“ fingen an, jenem ausrasierten Nacken, der erst jenseits des Schädeläquators zum Halten kam, dem sogenannten Fassonschnitt, Einhalt zu gebieten und zurückzudrängen. „Roll back“ war der Slogan der Zeit.

Mein älterer Bruder, entschlossen, sich diesen Verhältnissen wie auch der Bundeswehr durch eine Seemannslehre bei der Handelsmarine zu entziehen, wurde in Lateinamerika bei einem Landgang von der Straße weg verhaftet. Langhaarige Bärtige galten als Sympathisanten der kubanischen Revolution. So etwas ist heute kaum noch nachvollziehbar und das christusartige Antlitz eines Che Guevara ist längst mit Warhols Marilyn Monroe zur Pop-Ikone der Posterkultur verschmolzen. Den Che habe ich damals, meinen Ruf als Künstler festigend, unzählige Male an die Wände gerade entstehender Jugendzentren gepinselt. Doch einschneidender wurde ich mit dem Befehl: „Schütze Laue, abtreten zur Friseurbaracke“ in das Thema eingeführt.

- Anzeige -

Das Haar ist offenbar ein besonderer Stoff und mehr als nur ein Produkt des vegetativen Systems. Einerseits steht es für die Majestät des Vitalen. Wir kennen die Geschichte des unbesiegbaren Samson, der seines langen Haares beraubt, auch seine übermenschlichen Kräfte verlor. Durch die List einer Frau, versteht sich, der Delilah, wie denn überhaupt das lange Haar das Kennzeichen des Weiblichen war, dessen damalige Wertschätzung in Sprüchen wie, “langes Haar, kurzer Verstand“, unmissverständlich klargelegt wurde. Das Männliche und das Weibliche standen auf Kriegsfuß.

Der unfreiwillig geschorene Kopf –  ich befand mich mittlerweile in der Friseurbaracke –  wurde Sträflingen, Sklaven oder auch Rekruten zuteil und ich empfand ihn als Herabsetzung. In der Malerei regierte, ob männlich oder weiblich, das wallende Haar. Den rasierten Schädel kannte ich nur in Max Beckmanns „Selbstbildnis mit rotem Schal“, oder einem Selbstbildnis von E.L. Kirchner, die beide Weltkrieg geschädigt, mir damit das Verfügbarmachen des

Kopfs für den Stahlhelm anzuprangern schienen. Ich sah mein langes, blondes Haar rechts auf ein duschvorhangartiges Gebilde fallen, welches man über die Uniform gelegt hatte.

Dabei war das lange Haar, wie der Pferdeschwanz der Sarazenen und des Samurai oder das aufgetürmte, gebutterte Haar der Goten, stets ein Ausdruck der Kriegerkaste gewesen. In diese männliche Domäne waren dann die Amazonen eingebrochen und die schnitten sich mit dem Haar auch noch die linke Brust ab, um Pfeil und Bogen sicherer handhaben zu können. Da hielt ich mich doch lieber an die Sirenen und Loreleyen, die singend ihr langes Haar kämmend die Lebensschiffe der Männer in die Untiefen lotsten, statt sie in die Gräben und Gräber zu rufen.

Dem vollen Haar eignete erotische Kraft und das lange Haar, wenn es gepflegt ist, will den Stand erhöhen. So hatte ich mir das auch gedacht, doch jetzt fiel die linke Seite. Die Allongeperücke des Barock, dieses Arrangement kunstvoll gedrehter Lockenkaskaden, war Adeligen und Würdenträgern vorbehalten gewesen. Sie wurde in herrschaftlichem Weiß gepudert. Das ließ sich noch variieren und das blonde Haar verlieh solare, löwenhafte Eigenschaften, dem schwarzen eigneten dämonisch-zauberische und dem grauen weise Züge. Ich aber war geschoren und hatte mein Haar zusammenzukehren.

Im Zuge der französischen Revolution wurden die Zöpfe abgeschnitten  und das kurze Haar wurde zum Sinnbild des aufgeklärten Zeitgeistes und des Mannes selbst. So konnte das lange Haar zum Zeichen der Weiblichkeit oder der Subkultur degenerieren.

Dieses historische Durcheinander erklärte ich mir beim Fegen aus den griechischen und römischen Wurzeln der abendländischen Kultur. Rom war mir materialistisch, technokratisch, männlich, Griechenland spirituell, musisch, weiblich. In Griechenland war der geschorene Kopf eine Schmähung. Er unterschied sich wenig vom Schädel der römischen Militärkaste, während Alexander der Große, wahrhaftig ein Krieger von Format, auf dem Mosaik der Schlacht von Issos mit gezücktem Schwert und wehendem Haar den Streitwagen des fliehenden Perserkönigs Dareius verfolgte. Aber Krieger gab es nicht mehr und Soldat wollte ich erst recht nicht sein.

Die zweiten Protagonisten des Männlichen, die Philosophen, schmückten sich gerne mit diesem Stoff und aus völlig zugewachsenen Gesichtern war nur noch mit Mühe der Mund auszumachen, der die Überlegenheit des Geis-

tes über die Natur verkündete. Das blieb unbewiesen, aber mit ihrer Geringschätzung des Naturbereichs hätten sie schon peinlichst auf Rasur und Messerschnitt achten müssen. Stattdessen diese vegetative Spurverbreiterung des Erscheinungsbildes durch wallendes Haar, gewaltige Schnur- und Backenbärte, das war nicht seriös.

Jetzt blieben noch die Asketen und Heiligen. Die indischen Yogis trugen das Haar ungeschnitten, angeblich als Antenne für Schwingungen nicht kausaler Informationen. Aber das lange Haar verkörpert auch Zeit. Es dauerte Jahre, bis es zu den Hüften reichte und das machte den Yogi glaubhaft, zielte doch sein Vorhaben, die Abkehr von den weltlichen Dingen, auf die Lebenszeit ab. Die asiatischen Mönche hingegen hatten den Kopf ebenfalls geschoren und demonstrierten mir damit den Unterschied zwischen der klösterlich, kasernierten Form und den individualistischen Einsiedlern in den Höhlen des Himalaya.

Die Baracke war gefegt, ich konnte abtreten. Draußen suchte mein Blick die Fensterscheibe der Friseurbaracke und die zeigte einen gedemütigten Kopf. Dieser, die Baracken und die mit Netzen getarnten Fahrzeuge ließen keinerlei Zweifel: hier war nicht Nepal, kein Katmandu, ich war nicht im Himalaya. Ich war im Harz, Rekrut in Clausthal-Zellerfeld und von den zur Auswahl stehenden Männerbildern blieb mir dann nur noch der Künstler.


§ 1 Der Kommentar entspricht im Printprodukt dem Leserbrief. Erwartet wird, dass die Schreiber von Kommentaren diese mit ihren Klarnamen unterzeichnen.
§ 2 Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.
§ 3 Eine Veröffentlichung wird verweigert, wenn der Schreiber nicht zu identifizieren ist und sich aus der Veröffentlichung des Kommentares aus den §§< 824 BGB (Kreditgefährdung) und 186 StGB (üble Nachrede) ergibt.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here