Start Magazin Rat & Recht Anschlag auf den Asylschutz?

Anschlag auf den Asylschutz?

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Rat & Recht in und um Jülich Foto: ©Andrey Burmakin - stock.adobe.com / Bearbeitung: la mechky
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Der islamistische Anschlag in Solingen ist ein neuerlicher Höhepunkt salafistischen Terrors. Erneut ein grausames und menschenverachtendes Testat religiös motivierten und blindwütigen Fanatismus. Islamischer Terror war im Jahr 2023 für 4400 Todesopfer verantwortlich. Dies entspricht 75 % aller Terror-Todesopfer weltweit.

Aber welche Lehren ziehen wir? Der politische Diskurs droht wieder in alarmistischen Aktionismus abzudriften. Terrorangst versus Freizügigkeit? Mit solchen Verdrehungen und emotionalen Überschießungen treiben wir wahrlich einzig Wahlkampf für insbesondere rechte Populisten, die nur in einem gut sind: In der Kreierung vermeintlich simpler Lösungen, die in Wirklichkeit in der gesellschaftlichen und politischen Realität keine sind.

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Ja, wir sind als deutsche Nation durch illegale Migration überfordert. Aber islamistischer Terror wird die Grundfesten unserer Verfassung, nämlich den Schutz der Menschenwürde für alle und damit auch den Asylschutz nicht aushebeln. Eines ist klar: Nur geregelte Migration erlaubt auch menschenwürdige Integration, die für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben in unserer Gesellschaft unverzichtbar ist, aber durch die allgemeine Überforderung im Argen liegt. In völligem Kontrast zur aktuellen Weltuntergangsdiskussion ist Deutschland nach wie vor das Land mit der am höchsten entwickelten Willkommenskultur, in menschlicher, politischer und sozialer Hinsicht.

Tagtäglich sind tausende Menschen in Deutschland zumeist ehrenamtlich unterwegs und kümmern sich um Menschen aus aller Welt, die in Notlagen zu uns gekommen sind. Unser Sozialstaat lässt keinen Menschen, egal welcher Herkunft, Ethnie, Religion oder politischen Überzeugung im Stich, im Gegenteil.

Umso wichtiger ist es, diese Errungenschaften als Ausdruck von eindrucksvoller Toleranz und Mitmenschlichkeit nicht durch eine völlig verblendete und rassistisch überwölbte Ausländerfeindlichkeit insbesondere ausgehend von der AfD als wahrlich schlechtester Alternative für Deutschland eintrüben zu lassen.

Europa in seinem Verbund der Europäischen Union (EU) ist neben den Vereinigten Staaten von Amerika das in der Welt großräumigste und strahlkräftigste Gebiet demokratisch-freiheitlicher Werteordnungen.

Die Idee der Europäischen Gemeinschaft repräsentiert die EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten untereinander nicht zuletzt durch das Schengener Abkommen aus dem Jahre 1985, zunächst begründet durch Deutschland und Frankreich und die Beneluxländer und sodann stetig erweitert mit dem Beitritt weiterer EU-Länder. Das Abkommen ermöglicht freien Personenverkehr ohne Grenzkontrollen und erleichtert damit in noch nie da gewesener Weise Freizügigkeit in Lebensbereichen der EU-Länder wie in Arbeit, Studium, Warenverkehr und Reisen.

Der Schengen-Raum ist die größte visumfreie Zone der Welt, nimmt eine Fläche in Europa von 4 Millionen Quadratkilometern ein und beherbergt über 420 Millionen Einwohner. Zum Schengen-Raum gehören auch Nicht-EU-Länder wie die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein, nicht aber England, und zwar vor und nach dem Brexit. Übrigens wurde das Abkommen symbolträchtig in der kleinen luxemburgischen Gemeinde Schengen unterzeichnet, da dieser Ort im Dreiländereck von Frankreich, Luxemburg und Deutschland als Kontenpunkt inmitten Europas liegt.

Dieses großartige Regelwerk europäischer Freizügigkeit findet hingegen wortgetreu seine Grenzen, mithin Grenzziehungen aufgrund der durch Europa ziehenden Migrationswelle. Denn seit den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts – damals aus dem Kriegsgebiet auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens – streben immer wieder und immer mehr Flüchtlinge nach Europa, um Frieden, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu erfahren, aber auch Wohlstand zu finden. Denn bekanntlich müssen wir leider weltweit eine Vielzahl von Fluchtursachen wie Krieg, Nahrungsmangel und Klimawandel feststellen.

Flüchtlinge können in Deutschland als vom jeweiligen Herkunftsstaat politisch Verfolgte um Asyl bitten, sie haben ein verfassungsrechtlich garantiertes individuelles Recht auf Asyl, was in Artikel 16 a, Absatz 1 Grundgesetz (GG) verankert, aber eben auch nach dem Asylkompromiss im Jahre 1993 durch Abs. 2 eingeschränkt wird.

Artikel 16 a Grundgesetz (GG) lautet auszugsweise:
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist….

Dazu tritt überdies die Schutznorm der Genfer Flüchtlingskonvention, die auch Kriegsflüchtlingen absoluten Schutz gewährt. Die Asylbestimmungen haben in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verloren. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlings (BAMF) wird nur noch ca. 1 Prozent der Flüchtlinge Asyl wegen politischer Verfolgung gewährt. Quantitativ viel bedeutender seien die Kriegsflüchtlinge, die sich mit ihrem Asylwunsch auf die Genfer Menschenrechtskonvention berufen. Die über 1 Million Flüchtlinge aus der Ukraine sind hierbei das derzeit herausragende Beispiel. Würde man den Artikel 16 a Abs. 2 GG also puristisch anwenden, dürften Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern, zu denen alle EU-Staaten zählen, bei Grenzübertritt zurückgewiesen werden.

Aber dies wird wiederum durch die Genfer Flüchtlingskonvention und vor allem durch EU-Recht, nämlich das sogenannte Dublin-Abkommen aus dem Jahre 1997 als Zuständigkeitsbestimmung zur Durchführung von Asylverfahren in einem EU-Mitgliedsstaat überlagert.

In seiner Fortschreibung in der sogenannten Dublin III-Verordnung aus dem Jahr 2013 ist festgeschrieben, dass die Mitgliedsstaaten auch nur vermeintlich asylsuchende Flüchtlinge nicht einfach zurückweisen dürfen, selbst wenn sie aus einem sicheren Herkunftsland wie einem EU-Staat kommen, was bei solchen Grenzübertritten in Deutschland als europäischem Binnenland der Normalfall ist.

Vielmehr müssen auch solche Flüchtlinge, für deren Asylverfahren Deutschland gar nicht zuständig ist, einer rechtsstaatlichen Prüfung ausgesetzt werden, welcher Staat stattdessen zuständig ist. Erst danach dürfen die deutschen Behörden diesen Flüchtling geordnet an diesen zuständigen Staat überführen. Ein solches verwaltungsgerichtliches Verfahren kann in Deutschland erfahrungsgemäß bis zu fünf Monate dauern, ist also von einer sofortigen Zurückweisung weit entfernt. Asylsuchende sollen gemäß Dublin-Verordnung nicht in Europa herumirren, mithin koordiniert zurückgeführt werden, und dies zumeist in die Länder an den EU-Außengrenzen, in denen sie den Schengener Raum erstmals betreten haben.

Mittel- und langfristig ist die Eindämmung der irregulären Migration in Deutschland und der EU wohl nur erfolgversprechend, wenn mit sicheren oder zumindest überwiegend sicheren Herkunftsländern der Flüchtlinge Rückführungs- und Flüchtlingsabkommen geschlossen werden.

Das im Jahre 2016 mit der Türkei geschlossene Abkommen ragt hier besonders heraus, haben nämlich dadurch Millionen syrische Flüchtlinge auf ihrem Fluchtweg in die EU bereits in der Türkei Fluchtheimat gefunden. Zuletzt sind mit Marokko, Kenia und Usbekistan solche Abkommen gelungen, was dringend fortgeführt und selbst für Afghanistan umgesetzt werden muss. Ein weiterer Baustein ist die Realisierung der Asylprüfung an den EU-Außengrenzen oder in sicheren Transit- oder Drittstaaten wie Griechenland, die auch der bekannte Migrationsforscher und Mitverfasser des Türkeiabkommens Gerald Knaus befürwortet.

Kurzfristig könnte zudem die Zurückweisung von Flüchtlingen an deutschen Grenzen durch die Erklärung einer Notlage nach Artikel 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ermöglicht werden, indem das ansonsten geltende Europarecht – vorläufig – ausgehebelt würde.

Eine solche Ausnahmeregelung müsste gemäß Vorgaben des Artikels 72 AEUV die Gefährdung der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ und des „Schutzes der inneren Sicherheit“ voraussetzen, um EU-Recht wie die Dublin-Verordnung zumindest vorläufig auszusetzen, mithin Zurückweisungen befristet zu gestatten.

Die deutsche Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit und letztinstanzlich der Europäische Gerichtshof würden mit hoher Wahrscheinlichkeit allemal aufgrund von Klagen die Begründung Deutschlands zur Erklärung der Notlage auf ihre Rechtsmäßigkeit überprüfen. Bis dahin dürfte einige Zeit vergehen und die politische Wirkung der Zurückweisungen nicht ausbleiben, sowohl in den deutschen Nachbarländern, die sich dagegen sträuben dürften, aber auch in den EU-Saaten insgesamt, die es Deutschland eventuell nachmachen könnten.

Nicht zuletzt dürften sich Flüchtlinge, die sich auf den Weg in die EU und insbesondere nach Deutschland aufmachen wollen, durch eine solche strikte Zurückweisungsmethodik abgeschreckt fühlen. Und alles hängt heute wie morgen davon ab, dass alle heute bereits geltenden und morgen dazu kommenden Regelungen kontrolliert werden, mithin insbesondere Grenzkontrollen stattfinden.

Dies passiert bereits aktuell und hat während der Fußballeuropameisterschaft auch tatsächlich zu erstaunlichen Erfolgen bei der Aufspürung illegaler Migration geführt. Nur haben diese Grenzkontrollen in rechtlicher und personeller Hinsicht ihre klaren Grenzen.
Unsere Bundespolizei müsste personell erheblich aufgestockt werden, um diesen Einsatz an nahezu 4.000 Km deutscher Außengrenze zu leisten.

Und nach wie vor leuchtet der Stern von Schengen über allen Eilverfahren, das wohl bedeutendste Projekt gelebter europäischer Freiheit, begründet von den beiden großen Europäern Helmut Kohl und Francois Mitterand. Danach dürfen Grenzkontrollen im Schengen-Raum nur die absolute Ausnahme bleiben, und wenn, dann maximal für sechs Monate, andernfalls die Auswirkungen z.B. auf Handel, Wirtschaft und Tourismus unabsehbar wären. Aber binnen sechs Monaten wäre sehr wohl durch solche Kontrollen viel auszurichten.

Insbesondere würden die demokratischen Parteien der Mitte den Menschen mit solchen vor allem im Konsens verabschiedeten Maßnahmen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates zurückgeben und damit der aufkeimenden Salonfähigkeit rechtsextremistischen Gedankenguts entscheidend entgegenwirken.

Jeder aufrechte Demokrat und unerschütterliche Humanist, Menschen also, die die überwiegende Mehrheit in unserem Heimatland Deutschland ausmachen, erkennen, dass es zur Migrationsfrage eben keine einfachen Lösungen gibt, aber gleichwohl hinsichtlich der irregulären Migration ein Paradigmenwechsel in politischer und rechtlicher Hinsicht zwingend erforderlich ist.

Dazu gehört im Übrigen ebenso prioritär die überfällige Kodifizierung der regulären Einwanderung ausländischer Fachkräfte aus Ländern außerhalb der EU nach Deutschland.

Der Anschlag in Solingen kann nach alledem einen spürbaren Flügelschlag in Richtung gleichermaßen realistischer und verfassungstreuer Neuorientierung deutscher Migrationspolitik bewirken.


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