Was ist denn nun Un- und was Kraut? Im botanischen Sinne gibt es Unkraut überhaupt nicht: Da wird selbiges als Wildkräuter bezeichnet. Das hilft dem Gärtner wenig, der sieht das anders. Für ihn sind das alle diese Pflanzen, die immer wiederkommen, obwohl man sie mit der Wurzel ausgerissen hat. Tja, letzteres gelingt selten vollständig – und von irgendwoher kommen dann auch
noch wieder Samen geflogen… So ist das mit den braunen Un-Kräutern auch – aber dazu später.
Ich als ein großes Grundstück Besitzender besitze dieses weniger, als ich es bearbeitend belaufe. Weniges finde ich öder als Rasenmähen. Bis heute konnte ich mich nicht dazu durchringen, dieser Tätigkeit etwas Meditatives abzugewinnen. Was eher nicht mit dem Lärm des Rasenmähers zu tun hat, sondern mit der Tatsache, dass da und darin etwas einfach sprießt, dessen Beseitigung genauso unersprießlich ist wie – nur zum Beispiel – Staubsaugen. Nichtsdestotrotz habe ich mich mit beidem abgefunden, und während im Staub meiner Bude nur irgendwelche Milben sich unbemerkt lustig vermehren, tauchen in meinem Rasen (eher: meiner Wiese) Gänseblümchen und Klee auf, deren Blüten mich nicht nur optisch erfreuen, sondern eifrig von Insekten besucht werden. Die machen ebenso ihre Arbeit wie ich die meine. Da dieses Völkchen dies seit längerer Zeit vollbringt, als die Menschheit existiert, gehe ich davon aus, dass sie für den Erhalt unserer Biosphäre wichtiger sind als ich und meine mehr verbrauchende als aufbauende Tätigkeit. Sie kümmern sich um das Wachstum der Kräuter – und was uns davon nicht passt, sind dann eben: Un-.
Unglaublich oberflächlich und undankbar wie wir nun mal sind, gehen wir mit diesen unbezahlbaren Leistungen der Natur um. Sie hat uns hervorgebracht und ist nicht „für uns gemacht“. Mittlerweile haben wir sie uns so lange untertan gemacht und uns so furchtbar fruchtbar vermehrt (siehe 1. Mos. 1,28), dass die Folgen zügig und unausweichlich klar machen, wer wessen Untertan ist. Diese Erkenntnis erringen aber selbst nicht mal alle die, deren Häuser und Gärten über- oder weggeschwemmt wurden.
Ein seltsam Kraut, diese Menschheit.
Auch die Deutschen, deren Bezeichnung als „Krauts“ im englischsprachigen Vokabular immer noch gängig ist. Wohl weniger wegen unserer angeblichen Vorliebe für „icebine and sourkrout“ (da seien mittlerweile die Veganer vor!), sondern als überkommener Begriff aus den Zeiten, da unter den Seeleuten Vitamin-C-Mangel Skorbut hervorrief. Diese wurde in der englischen Marine durch Verabreichung von Limetten bekämpft, bei der deutschen mit Sauerkraut. So wurden die Engländer von deutschen Seefahrern als „Limies“ benannt, diese im Gegenzug wiederum als „Krauts“. Heute ist diese Bezeichnung für Engländer bei uns ver-
schwunden, die für Deutsche immerhin noch vorhanden. Inwieweit sie abfällig gemeint wird, liegt wohl im Munde des sie Benutzenden. Mich belustigt sie eher, als dass ich mich herabgesetzt fühle.
Was mich als „Kraut“ eher stört, sind die sich immer stärker verbreitenden „Un-Krauts“. Und dies nicht nur in Deutschland. Dass Unkraut nicht vergeht, gehört zu den sprichwörtlichen deutschen Erkenntnissen, doch leider hat auch Shakespeare recht, wenn er König Heinrich sagen lässt: „Am meisten Unkraut trägt der fetteste Boden.“ Denn die mir bekannten bekennenden AfD-Wähler gehören keineswegs zu einer verzweifelten, minderprivilegierten Unterschicht, die ihr „Heil“ bei angeblich ihre unerhörten Interessen Vertretenden suchen. Viele sind eher gutsituierte, ja saturierte Mitbürger, die um ihre ihnen angeblich zu-
stehenden Ansprüche fürchten. Als ob ihnen morgen 20 Asylanten in ihr überdimensioniertes Eigenheim gesetzt würden, die dann auch noch mit ihrem dicken Auto zum Sozialamt fahren dürften, während sie selbst zu Fuß zur Arbeit gehen müssen.
Dass mit einem sich verändernden Umfeld auch Veränderungen in dessen Strukturierung nötig sind, steht außer Frage. Doch wegen der Versäumnisse vorangegangener Regierung die heutige der totalen Unfähigkeit zu bezichtigen und reich im Heim sitzend „Heim ins Reich!“ zu brüllen – ist völlig an den Tatsachen vorbei. Zumal ich nicht sehen kann, welche konkreten Lösungen hinter den ausposaunten Parolen stehen. Von ihrer Finanzierbarkeit mal abgesehen. Oi, oi, oi, Doitschland.
Unkraut mag laut Oskar Kokoschka die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner sein. Doch wenn der Bock zum Gärtner gemacht wird, gewinnt auch die Natur nichts. Ich gehe jetzt mal wieder Rasenmähen und begrüße jeden Löwenzahn, das Ferkelkraut, den Wegerich persönlich: Hallo, ihr Kräuter! Vorsicht, hier kommt der Mensch!