Am Boden, entlang der aufgebauten Stände, bot sich den Gästen auf dem Schlossplatz ein Ausblick – hier in die nahe und ferne Zukunft der Region. Am sogenannten Partizipationstag der Stadt Jülich konnten Bürger Wünsche äußern – etwa an der Wünschewand des Jugendparlaments Jülich (JuPaJü) und beim Citymanagement – sowie große Zukunftsprojekte für den Strukturwandel in der Braunkohletagebau-Region kennenlernen, die bereits auf dem Weg oder in konkreter Planung sind.
Auch die Innenstadtentwicklung war ein großes Thema am integrierten Tag der Städtebauförderung. Wie weit sind eigentlich die Sanierungsmaßnahmen in der Innenstadt gediehen – Stichwort integriertes Handlungskonzept (InHK)? Besonders dieses Thema brannte einigen Bürgern unter den Nägeln.
Der Marktplatz sei bis zur Mitte fast fertig. Anfang 2025 werden die Arbeiten an Markt- und Kirchplatz abgeschlossen sein. „Unter Vorbehalt“, sagte Citymanager Firas Orabi. Er weiß, dass archäologische Funde immer für Verzögerungen sorgen können. Dennoch ist er optimistisch, dass der Marktplatz bis Ende des Sommers fertig sein könne. Der Plan für den Schlossplatz sei beschlossen und beinhalte Sitzmöglichkeiten um Bestandsbäume und eine Veranstaltungsfläche, die bis an den Graben heranreiche. Der Gesamtzeitraum für die Maßnahmen dürfe – die laufenden Projekte eingerechnet – insgesamt vier Jahre nicht überschreiten. Auf diesen Zeitrahmen grenzt Orabi die Umgestaltungen in der Innenstadt ein.
„So wachsen wir Stück für Stück“, freut sich Zukunftsmanagerin Petra Dören-Delahaye und skizziert zahlreiche weitere Projekte, die allesamt in einer großen Landkarte zusammengetragen auf dem Markplatz ausliegen. Das Stadtgebiet mit seinen 12 mal 14 Kilometern solle entwickelt werden, erklärte Kollegin Karen Steffens. Es sei eine komplexe Entwicklung in vielen Schritten und in viele Richtungen. Gemeinsam möchten sie die Besucher „heiß auf die Zukunft“ machen.
Für den Leerstand der Geschäfte, der in Jülich allerdings mit sechs Prozent vergleichsweise niedrig sei, wie Citymanager Frank Manfrahs der Stadt Jülich aus Erfahrung weiß, wünschten sich die Schülerinnen des Erdkundekurses der fünften Klassen des Mädchengymnasiums ein paar attraktive Shopping-Möglichkeiten für die Jugend: In Briefen an die Stadtverwaltung hatten sie ihre Vorschläge wie einen Unverpackt-Laden, ein schwedisches Bekleidungsgiganten sowie und einen Billigdiscounter mit Rundumangebot gewünscht. Sie stellten den Passanten aktiv ihre Ideen vor.
In einem übergroßen Sandkasten bauten auch die kleineren Kinder an der Zukunftsidee mit. Gebilde aus Sand und aus Pappe entstanden. „Es ist total notwendig, dass die Kinder an die Zukunft herangeführt werden“, erklärte Dören-Delahaye.
Globale Themen wie regenerative Energien, Mobilität der Zukunft, Kreislaufwirtschaft beziehungsweise Ressourcen-Nutzung sowie neue Formen des Wohnens kamen ebenfalls unter dem Brennglas zusammen. Stichwort: Gemeinschaftshaus für die geplante Tinyhouse-Siedlung im Projekt Lindenallee III.
Im Gespräch mit verschiedenen Akteuren des Strukturwandels sowie Vertretern des interkommunalen Gewerbegebietes Brainergy Park, des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrttechnik sowie des Campus‘ Jülich der FH Aachen sowie RWE mit seinem Zentrum für Rekultivierung und vielen weiteren Institutionen aus der Region, konnten Besucher neue Forschungsprojekte aus erster Hand der Wissenschaft kennenlernen, die in der Region eine besondere Dichte haben.
Zur Ansicht stand unter anderem ein großes Legomodell des HC H2 Helmholtz Cluster Wasserstoff. Gezeigt wurden auf dieser Fläche unter anderem bereits realisierte Projekte im Rheinischen Revier, wo modellhaft Wasserstoffenergie zum Einsatz kommt. Dazu gehöre das Krankenhaus in Erkelenz, das bereits mit Wasserstoff klimaneutral und kosteneffizient betrieben werde, erklärte Guido Jansen vom Forschungszentrum Jülich, wo das Cluster beheimatet ist.
Am See spazieren, diese Vision sollte zumindest für die jüngsten der Gäste später einmal Realität werden. Aber auch alle anderen können zumindest die Anfänge des Wandels in der Tagebau-Region noch erleben: Die Pläne reichen bis zur Vollendung der Seenlandschaft im Jahr 2070. Dazu gehört der Rahmenplan Indesee 2.0, der mit konkreten Planungen auch zu den Zwischenlandschaften in sechs Wochen fertig sein soll, wie Daniel Albrecht von der indeland GmbH verrät.
Besonders interessant für die Einwohner der Stadt Jülich sei hier die Entwicklung der Nordkante des Indesees. Hier solle „sanfter Tourismus“ entstehen, aber auch die Themen der Dorfentwicklungskonzepte mit hineinspielen, wie sie von der Stadt Jülich mit Bürgerbeteiligung konzipiert worden sind, erklärt Dören-Delahaye für die Stadt Jülich. In Kirchberg, Bourheim und Altenburg sei beispielsweise ein Naherholungsgebiet geplant.
Doch die Bürger haben konkrete Fragen: Wie kommt denn nun das Wasser in den See, und wann geht es los? Hier gebe es zwei Wege, erläutert Albrecht von der Entwicklungsgesellschaft Indeland GmbH. Einmal werde das Wasser aus dem Tagebau unten abgepumpt und dann oben wieder eingeleitet. Zweitens werde Wasser aus der Rur entnommen, über eine Rohrverbindung bei Merken. 2030 solle der erste Tropfen fließen. Bereits nach fünf Jahren solle das Wasser aber schon eine relative Höhe erreicht haben, so Albrecht. Die gesamte Befüll-Zeit dauere zwischen 20 und 30 Jahren. „An der Machbarkeit gibt es keinen Zweifel“, so Albrecht.
In der Zwischenzeit entstehen die sogenannten „Zwischenlandschaften“. Auch diese würden sinnvoll genutzt: So hat das RWE zusammen mit dem Forschungszentrum Jülich das Projekt „Agri-PV“ gestartet, in dem die Tagebauflächen für Photovoltaik-Anlagen genutzt werden, unter denen auch landwirtschaftliche Früchte wachsen sollen, erklärt Christian von Dongen. Dies ist nur eines von vielen Projekten.
Rund um den Tagebau Hambach ist mit dem Ende der Braunkohleverstromung auf 8500 Hektar der Hambacher See geplant. Er soll – gemessen am Volumen – der zweitgrößte See Deutschlands nach dem Bodensee werden, erklärt Christina Brincker von der Neuland Hambach GmbH.
Zahlreiche Interessierte kamen an diesem Tag, um sich über die großen Themen der Zukunft zu informieren. Manche blieben ein wenig skeptisch. So hoffte Burkhard Werner aus Jülich, dass die neu gewonnen Unternehmen im Brainergy Park – darunter neu auch eine Tochter der Quanta – dort auch blieben, und so zu Bestandsunternehmen würden. Denn nur dann sei das Ziel zu schaffen, bis 2035 die dort geplanten 4000 neuen Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Die Gefahr sei, dass diese nur blieben, bis die Förderung ausgelaufen sei, so Werner.
Menschen mit Wissen neugierig machen, Ängste abbauen, die durch Nichtwissen entstünden, und besonders zu Mitmachen anzuregen, sei das Ziel des sogenannten Partizipationstages. So formuliert es Strukturwandelmanagerin Dören-Delahaye. Sie betonen insbesondere die Chancen. Bei der konkreten Umsetzung der umfangreichen Maßnahmen wäre einer Förderung von Bund und Land dringend notwendig. Sie betonte: „Wir sind das Kernrevier.“ Alle Gemeinden und Kreise der Region müssten gemeinsam ihre Forderungen formulieren, um erfolgreich zu sein.