Ja, sie hätte schon große Bedenken gehabt, gab Erika Müller-Bong zu, den Hexenturmorden anzunehmen und damit in eine Männerwelt einzusteigen. Vor 50 Jahren hatte die Historische Gesellschaft Lazarus Strohmanus zuletzt seinen Orden an eine Frau vergeben. „Aber ich habe mich sofort wohlgefühlt – auch schon auf der Taufe„, sagte die frischgebackene Ordensträgerin strahlend. „Es ist für mich eine große Ehre“, schloss sie und kündigte an, den Orden bereits im Kengerzoch mit stolz und gut sichtbar zu tragen. Minutenlanger Applaus war der Ordensübergabe durch Senatspräsidenten Linus Wiederholt gefolgt, was Präsident David Ningelgen freute und die Ausgezeichnete in Verlegenheit brachte. Traditionell wird der „größte, schönste, wertvollste und schwerste Orden im Jülicher Fastelovend“, wie Axel Fuchs ihn nannte, bei der Hauptversammlung der Historischen Gesellschaft Lazarus Strohmanus am Tulpensonntag verliehen, wenn Kapp an Kapp die Brüder und wenigen Schwestern sitzen und das Nationallied angestimmt wird.
Axel Fuchs hatte als Vorjahres-Pattühm die Aufgabe, die Laudatio zu halten und rührte damit nicht nur Erika Müller-Bong, sondern brachte sie und die Lazarusbrüder mit seiner Rede in der Muttersproch auch herzhaft zum Lachen. Zunächst, weil er sehr launig die richtige Bezeichnung für die weibliche Form eines Pattühm verbal auf die Schippe nahm, um zu schlussfolgern: „Et is ejal, denn us Erika is ene verdamp joode Möhn!“ Neben den biografischen Daten – „wo wor se op de Schul, wo häddet jeliert, und mit wem häddet possiert“– gab der Laudator zu wissen, dass einst auch der heutige Rursternchen-Präsident Lontzens Pitter um sie geworben hatte, und dass sie eigentlich hatte Lehrerin werden wollen. „Donnens schnell de Kappen vom Kopp“, forderte Axel Fuchs die Anwesenden auf, die der Bitte nachkamen. „Dat wör dat Erjebnis, wenn us uns Erika ne Beamtin jewodde wör“, sagte er lachend. Als „Mesterin of ejene Kapp“ ist sie nach der Schneiderausbildung in Köln seit 1995 in Jülich tätig und ihrer Leidenschaft – nihe – folgend sorgen die fleißigen Hände der Patin oft in den Nachtstunden für den Nachschub an Kopfbedeckungen der Historischen Gesellschaft. Und dann gab es noch „Verzällche“ über ihre jecken Wurzeln, ihre Ämter, ehrenamtliches Engagement, („Wer kennt noch die Treffpartys im Rochusheim?“) und ihre Familie, um schließlich zum Schluss zu kommen: „Do bis allet, watt m’r im Hätze han. Do bis dat, watt m’r all lieben, denn Du, leev Erika: Do bes Jülich.“
Nach so einer „schönen Nummer von einem Herzensmenschen für einen Herzensmenschen“, wie der Lazarus-Präsident es nannte, folgte der Part, der David Ningelgen nach eigenem Bekenntnis übertragen ins Schwitzen bringt: die Heimatrede von Thomas Oellers. Der Letzte seiner Art, der mit Biss und Humor das aktuelle politische und städtische Leben in den Fokus nimmt und in alle Richtungen gekonnt austeilt. Er zog dann auch entsprechend vom Schwanenquartier über das „Muschel-Groschengrab“, die Innenstadtsanierung und das „marode Brückenkaff“ bis zum Indeland-Skandälchen vom verbalen Leder. Bei letzterem hatte der Heimatredner den Rat für den Bürgermeister parat, künftig doch nur als Kommentar „Isch wor injelade“ zu kommunizieren. Letztlich folgte aber der verbale Schulterschluss, „weil wir zwei jejen braune Brühe sin“. Dafür spendete die Gesellschaft einen weiteren Szenenapplaus.
Reichlich Beifall gab es außerdem für die Ehrungen: Karl-Heinz Stier, seit 25 Jahren Besenführer, wurde für 40 Jahre Zugehörigkeit „zum Lazarus“ gewürdigt. Zu neuen Ehrenkappen-Trägern ernannt wurden Wolfgang Gunia, Ehrenringträger der Stadt Jülich und Mike Schmitz, Ehrenpräsident der KG Maiblömche Lich-Steinstraß. Während Gunia die Gesellschaft für ihre Verbindung zwischen Tradition und Moderne lobte („Sie gehen zu Fuß, arbeiten mit Naturmaterialien, sind also total modern und uralt: weiter so!“), sagte Mike Schmitz, mit dieser Auszeichnung fühle er sich nach 40 Jahren endlich in Jülich angekommen. Er ließ es sich nicht nehmen, seiner Freude dann auch zur Gitarre singend Ausdruck zu verleihen, so dass David Ningelgen schließlich grinsend meinte: „Er macht auch aus einer Jahreshauptversammlung eine Karnevalssitzung.“
Final ließ Präsident David Ningelgen die Gemeinschaft den Eid auf den Strohmann und das Brauchtum ablegen, in dem die Anwesenden schwören, den Lazarus am Karnevalsdienstag durch die Straßen zu „ze drare on ze werfe, wie et sich für ene anständije Bürger eijnet on jebührt“.
Der Zug
Zum 324. Mal zieht die Historische Gesellschaft Lazarus Strohmanus am morgigen Dienstag durch die Stadt. Start ist um 9 Uhr am Hexenturm. Auf dem etwa fünf Kilometer langen Umzugsweg wird an 20 Stationen Halt gemacht, dä Mann besungen, betanzt und jepreck. Die Strecke führt zunächst ins Nordviertel, von dort aus zum Krankenhaus, der Polizei und dem „Abholort“ der Ordensträgerin in der Kurfürstenstraße. Aufgrund der Bautätigkeiten auf dem Marktplatz wird das große Aufwerfen ausnahmsweise gegen 16 Uhr am „neuen“ Rathaus, Große Rurstraße 17, vonstatten gehen. Das Finale – das Begräbnis des Lazarus Strohmanus in der Rur mit anschließenden Höhenfeuerwerk an der Kirmesbrücke / Rur – wird traditionell gegen 19 Uhr stattfinden.
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