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Keine Pause im Kampf gegen Antisemitismus

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Friederike Görtz erhalten den Preis für Zivilcourage, Solidarität und Toleranz der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz. Vorsitzender kündigt Rücktritt an.

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Alle Preisträger auf einen Blick. Foto: Stephan Johnen
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„Nie war es wichtiger als heute zu verdeutlichen, dass wir für eine liberale Demokratie stehen, basierend auf Freiheit und Grundrechten“, appellierte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der Schlosskapelle der Zitadelle Jülich an alle Bürgerinnen und Bürger, Demokratiefeinden nicht nur verbal die Rote Karte zu zeigen, sondern täglich für die Demokratie einzustehen. Die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW ist neue Preisträgerin des Preises für Zivilcourage, Solidarität und Toleranz der der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz und nahm ihre Auszeichnung am Donnerstagabend in Empfang.

Ebenfalls ausgezeichnet wurde Friederike Görtz als einzige aus der Villa Buth (dem ehemaligen „Judenhaus“ des Kreises Jülich während der NS-Zeit) befreiten Person. Den Preis nahm stellvertretend für ihre Mutter Martina Blümling in Empfang. Ehrenurkunden verlieh die Gesellschaft an Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Zitadelle, der Sekundarschule Jülich und des Mädchengymnasiums Jülich, die sich unter anderem mit der Aufarbeitung von NS-Verbrechen und dem Nachwirken der NS-Ideologie bis in die Gegenwart hinein beschäftigt haben.

Schülerinnen des MGJ wurden geehrt. Foto: Stephan Johnen
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„Es ist wichtig, dass jetzt demonstriert wird, dass wir Demokraten sichtbar werden. Die Demos sind beeindruckend, aber auch notwendig“, begrüßte Heinz Spelthahn als Vorsitzender der Jülicher Gesellschaft die Gäste in der Schlosskapelle. Er gab zu bedenken, dass unsere Gesellschaft es verlernt habe konstruktiv zu streiten und Kompromisse auszuarbeiten. „Im Kampf gegen Spaltung müssen wir wieder streiten lernen. Wir brauchen den Austausch über die eigenen Meinungen und Interessen mit anderen und müssen aushalten, dass andere Menschen andere Meinungen haben“, unterstrich er. Auch der mit dem Überfall der Hamas auf Israel ausgelöste Krieg dürfen von Staaten, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, nicht in die Eskalation getrieben werden. Nötig seien Verhandlungslösungen. Spelthahn: „Wir brauchen Begegnung, Verständnis und Toleranz statt Hass, Gewalt und Spaltung.“

„Wir lassen uns kein politisches Meinungsklima von einer politischen Ecke aufzwingen“, rief der Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel (CDU) in einem Grußwort dazu auf, die Freiheiten aber auch Grenzen des Grundgesetzes zu verteidigen. „Seien Sie ein Teil dieser neuen Bewegung. Die Demokratie sollte uns etwas wert sein“, appellierte er an alle, an der Demo gegen rechts auf dem Dürener Kaiserplatz am Samstag ab 12 Uhr teilzunehmen.

Armin Laschet. Foto: Stephan Johnen

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der die Laudatio auf Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hielt, rief ebenfalls dazu auf, Rechtspopulisten und Antisemiten entgegen zu treten. Laschet: „Wir müssen alles wieder neu verteidigen. Europa, unsere Verfassung, als hätte es die ganzen geschichtlichen Ereignisse nicht gegeben.“ Es sei nicht hinnehmbar, dass Menschen jüdischen Glaubens wieder Angst in Deutschland haben. „Der Antisemitismus von rechts war immer da“, betonte Laschet, dass dies kein Phänomen eines „immigrierten Antisemitismus“ sei. Es seien auch nur „einige wenige Immigranten, die lautstark auf die Straßen gehen“ und sich antisemitisch äußern. Er selbst habe jedoch den „akademischen Antisemitismus“ unterschätzt.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sei „eine starke Frau, ausgezeichnete Juristin und große Liberale“, die stets nur Entscheidungen getroffen oder mitgetragen hat, die sie mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte. Bemerkenswert sei der Rücktritt als Bundesjustizministerin 1995 gewesen, weil sie den „Großen Lauschangriff“ als unrechtmäßig einstufte – eine Entscheidung, die viele Jahre später höchstrichterlich bestätigt wurde. In ihrer ersten Amtszeit setzte sie um, dass der Tatbestand der Volksverhetzung um die Leugnung der NS-Verbrechen erweitert wurde. „Freiheit hat auch ihre Grenzen“, betonte Laschet und zollte der Geehrten Respekt, weil sie konsequent „gegen jede antidemokratische und antisemitische Stimmung in unserer Gesellschaft“ vorgehe. „Bei den kommenden Wahlen in Ostdeutschland besteht die Gefahr, dass antidemokratische Parteien einem Mehrheit haben könnten“, warnte Laschet.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (links) und Martina Blümling (2. v. r., stellvertretend für ihre Mutter Friederike Görtz) nahmen den Preis für Zivilcourage, Solidarität und Toleranz entgegen. Es gratulierten Armin Laschet und Thomas Rachel (vordere Reihe von links) sowie Timo Ohrndorf und Heinz Spelthahn (obere Reihe von links) von der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz. Foto: Stephan Johnen

An das Leben und Wirken von Friederike Görtz erinnerte Timo Ohrndorf, der stellvertretende Vorsitzende der Jülicher Gesellschaft mit vielen biographischen Details. „Sie hat all ihren Mut zusammengenommen, um ihre Geschichte als Überlebende zu erzählen und somit das erfahrene Unrecht in mahnender Erinnerung zu halten“, betonte Ohrndorf. Wie auch schon Armin Laschet, Heinz Spelthahn und Thomas Rachel sprach auch er sich für den Erhalt der Villa Buth als Gedenkstätte aus. „Ein Erhalt des Gebäudes würde zwar kurzfristig höhere Inventionen erfordern, aber dies darf kein Grund sein, das Gebäude verschwinden zu lassen. Es sollte unbedingt erhalten werden.“

Es sei auch im Interesse ihrer Mutter, das ehemalige „Judenhaus“ als Gedenkort zu bewahren, sagte Martina Blümling, die die Ehrung im Namen ihrer Mutter entgegen nahm. Es sei heute wichtiger denn je, Kindern und Jugendlichen von der NS-Zeit zu berichten und die Geschichte zu dokumentieren. „Das Böse in der Welt lebt nicht nur nicht durch die, die Böses tun, sondern durch die, die Böses dulden“, zitierte sie wie ihre Mutter Carl Zuckmayer. Die Überlenden hätten Wunden erlitten, die nie verheilen und die nie vergessen werden. „Es ist mir ein großes Anliegen, die Erinnerung an diese Menschen in Erinnerung zu halten. Es ist wichtig zu verstehen, wie Antisemitismus entsteht, wie Hass und Neid entstehen und sich gegen das Vergessen einzusetzen.“

Zum Abschluss der Preisübergabe bedankte sich Heinz Spelthahn für die erfahrene Unterstützung der vergangenen Jahrzehnte. „Dies ist meine letzte Preisverleihung“, kündigte er öffentlich seinen baldigen Rücktritt als Vorsitzender der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz an. Wann die Neuwahlen anstehen und ob sein bisheriger Stellvertreter als Kandidat zur Verfügung stehen, ist noch offen.


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