Nirgendwo in Deutschland gibt es auf engem Raum so viele Papierfabriken und Papier verarbeitende Betriebe wie im Kreis Düren. Die Branche beschäftigt rund 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von rund fünf Milliarden Euro. „Durch aktuelle Planungen des Bundeswirtschaftsministeriums sind jetzt rund 10.000 Jobs in der heimischen Papierindustrie und deren Zuliefererbetrieben gefährdet“, warnt Michael F. Bayer, Hauptgeschäftsführer der Industrie und Handelskammer Aachen (IHK). Mit Dr. Stefan Cuypers, Geschäftsführer der Vereinigten Industrieverbände von Düren, Jülich und Euskirchen, Jens Bröker, Referatsleiter Wandel und Entwicklung beim Kreis Düren, und dem Bundestagsabgeordneten Thomas Rachel (CDU), der als Botschafter des Hydrogen Hub Aachen am Tisch saß, forderte der IHK-Hauptgeschäftsführer eine direkte Anbindung der Region an das geplante bundesweite Wasserstoffkernnetz mit mindestens zwei Ausspeisepunkten. Von dort aus könnte der grüne Wasserstoff regional verteilt werden. Bislang wurde der Kreis in den Planungen nicht berücksichtigt.
Zum Hintergrund: Am Montag endete eine Frist der Bundesnetzagentur, um Stellungnahmen zum Wasserstoffkernnetz abzugeben. Weder für den Kreis Düren noch für den Kreis Euskirchen sind in dieser zentralen Versorgungsleitung für grünen Wasserstoff Ausspeisepunkte geplant. Kurzum: Der dringend für die Industrie benötigte Wasserstoff wird entlang der Autobahn A4 durch die Region transportiert – ohne dass die Unternehmen einen Zugriff auf den Energieträger der Zukunft haben. „Wir wollen nicht nur politisch antichambrieren, sondern argumentativ hervorragend vorbereitet und mit einem Gutachten untermauert unserer Kritik Nachdruck verleihen“, erklärte Michael F. Bayer. Der grüne Wasserstoff sei ein besonderer Faktor zum Gelingen des Strukturwandels im Rheinischen Revier; nicht nur für die Papierindustrie sei der Wasserstoff der beste Energieträger, um Erdgas zu ersetzen und klimaneutral zu produzieren. Großer Bedarf herrsche auch in der Metall- und Glasindustrie sowie der Lebensmittelindustrie.
„Die Papierindustrie als großer Arbeitgeber und Innovationstreiber muss an das Wasserstoffnetz angeschlossen werden“, fordert Thomas Rachel als Botschafter des Hydrogen Hubs Aachen. Es sei inakzeptabel, nicht nachvollziehbar und letztlich auch ungerecht, dass weder der Kreis Düren noch der Kreis Euskirchen an das Wasserstoffnetz angeschlossen werden sollen. Rachel: „Das zentrale deutsche Forschungscluster für Wasserstoff befindet sich in Jülich. Wir wollen uns als Wasserstoffmodellregion positionieren – das kann nur glaubwürdig erfolgen, wenn wir die Industrieunternehmen bei der zukünftigen Nutzung des Wasserstoffs nicht abkoppeln.“
Die deutsche Papierindustrie meint es wirklich ernst mit dem Klimawandel
Gutachter Dr. Peter Kramp
Problematisch an der aktuellen Planung sei, dass eine „500-Grad-Grenze“ festgelegt wurde. Will heißen: Wird in Unternehmen mehr Prozesswärme benötigt, sei dies ein Kriterium für den Anschluss an das Wasserstoffkernnetz gewesen. In der Papierindustrie werde aber zu 70 Prozent Prozesswärme im Bereich von 100 bis 500 Grad benötigt, aus Sicht der Planer fällt die Papierindustrie damit aus dem Bedarf heraus und könne beispielsweise auf regenerative Energien setzen. „Eine Direktelektrifizierung von Papierfabriken ist aber wirtschaftlich nicht darstellbar“, kritisiert Gutachter Kramp, der vermutet, dass es bei der ersten Studie des Ministeriums keine verfahrenstechnische Analyse gegeben hat.
„Allein die Elektrifizierung zur Wärmegewinnung im Papiertrocknungsprozess einer großen Papierfabrik benötigt Strommengen, die in der Dimensionierung etwa dem jährlichen Verbrauch der Einwohner Kölns entsprechen“, rechnete der Experte aus. Aktuell werden diese Strommengen in Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen auf Basis von Erdgas dezentral am jeweiligen Standort erzeugt, auch das aus eigenen Kläranlagen und Produktionsrückständen gewonnene Biogas könne in Zukunft nicht mehr verwendet werden. Ein „funktionierender effizienzoptimierter Energie-Kreislauf“ werde zerstört. Ein weiteres Hindernis für eine Direktelektrifizierung sei auch die fehlende Netzinfrastruktur. Die benötigten Strommengen könnten nur über Hochspannungsleitungen bereitgestellt werden, die jedoch gar nicht vorhanden sind.
„Wir sind in der Region, was die Einstellung zum Wasserstoff und auch was die Infrastruktur angeht, schon sehr weit“, stellte Dr. Stefan Cuypers klar. Vor Ort könnten vorhandene Erdgasleitungen zum Teil mit geringen Überarbeitungen problemlos für den Transport von Wasserstoff genutzt werden, dies betreffe auch die Technik in vielen Unternehmen, die schnell von Erdgas auf Wasserstoff umgerüstet werden könne. „Ohne staatliche Fördermittel hat die Industrie bereits von Braunkohlebriketts auf Erdgas umgestellt. Diese Betriebe brauchen jetzt eine Perspektive, um zukünftig klimaneutral produzieren zu können“, forderte Stefan Cuypers ein Umdenken in Berlin und einen „diskriminierungsfreien Zugang zum Wasserstoffkernnetz“. Generell müsse auch die Dimension der Leitung überdacht werden und ausreichend Entwicklungsreserven eingeplant werden.
„Wir brauchen keine Planung am grünen Tisch, sondern eine Potenzialplanung“, fordert Jens Bröker. Eine Abkoppelung der Region vom geplanten Waserstoffkernnetz gefährde nicht nur Tausende Arbeitsplätze – sie verhindere auch die Stabilisierung des Wirtschaftsstandorts, schwäche andere Wasserstoff-Projekte und verhindere auch mit Blick in die Zukunft die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den betroffenen Bereichen. Die Akteure wollen nicht locker lassen und hoffen, massive Nachteile nicht nur für die Papierindustrie abwenden zu können.