„Die Geschichten liegen auf der Straße, man muss nur richtig hingucken“, zitierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Schriftsteller Erich Kästner in seinem schriftlichen Aufruf zur 28. Ausgabe des Wettbewerbs. Damit gab er Anfang September 2022 den Startschuss für das Projekt. Über 5600 junge Menschen haben sich beworben und bis Ende Februar 2023 ihre Forschungsergebnisse eingereicht.
Unter ihnen waren auch Liam Franken und Maria Ljubicic aus Jülich. In ihrer Arbeit mit dem Thema „Wie beeinflusst eine Umsiedlung das Wohnen, die Gemeinschaft und die ganze Identität einer Ortschaft? Das Beispiel Lich-Steinstraß“ werfen sie einen Blick in die Vergangenheit des Jülicher Stadtteils. Dabei sei die Themenfindung gar nicht so einfach gewesen, denn sie hätten viele spannende Ideen gehabt, erzählt Liam. Dass die Wahl letztendlich auf das Thema Umsiedlung wegen Braunkohleabbau fiel, war auch der derzeitigen Lage geschuldet. „Als wir angefangen haben, war Lützerath ein aktuelles Thema“, sagt Liam rückblickend. Mit ihrer Arbeit haben sie verdeutlichen wollen, dass Umsiedlungsprozesse dieser Art bereits viel früher angefangen haben. Für Maria war die Wahl des Ortes Licht-Steinstraß aber auch eine persönliche. „Ich lebe von Geburt an in diesem Dorf, aber meine Großeltern haben mal in einem anderen Dorf gelebt“. In den 1980ern wurde die ansässige Bevölkerung und ein Teil der damals vorhandenen Infrastruktur in einen Stadtteil von Jülich umgesiedelt, wie er heute existiert.
Für Liam und Maria stellte sich die Frage, wie sich das Leben der Menschen durch die Umsiedlung und den Verlust der Heimat verändert hatte. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, recherchierten sie im Internet, führten Zeitzeugengespräche und statteten verschiedenen Archiven, darunter dem Stadtarchiv Jülich, dem Landesarchiv des Landes NRW und dem historischen Konzernarchiv von RWE, einen Besuch ab. Es sei sogar so gewesen, dass sie im Vergleich zu anderen Teilnehmenden sehr viele Archive besucht hätten, meint Liam. Der aktivere Teil der Arbeit war das Interviewen der Bewohner von Lich-Steinstraß. „Ich habe meine Großeltern und ein paar Bekannte befragt“, erklärt Maria ihr Vorgehen. Dabei sei ihnen wichtig gewesen, alle Altersgruppen zu Wort kommen zu lassen, um die Entwicklung der Ortschaft aus verschiedenen Perspektiven beleuchten zu können. Für sie war das eine besondere Erfahrung. „Für mich war es auch interessant zu sehen, wie anders es früher war, wie man früher gewohnt hat. Zu sehen, was bei meinen Großeltern ganz anders war und auch die Vorstellung die Heimat verlassen zu müssen ist krass.“
Neben dem Recherchieren nahm das Schreiben ihrer Arbeit viel Zeit in Anspruch. „Es war viel Stress, wir mussten das halt neben der Schule hermachen“, erinnert sich Liam. Besonders in den Klausurenphasen sei es eine Herausforderung für die Elftklässler gewesen, an ihrem Projekt weiterzuarbeiten. Daher war es auch hilfreich, dass sie sich den Herausforderungen nicht allein stellen mussten. Als unterstützende Lehrkraft stand ihnen Frederik Hens mit Rat und Tat zur Seite. Ungeachtet des zeitlichen Druckes stand am Ende eine 43 Seiten umfassende Ausarbeitung zur Abgabe bereit.
Und der hohe Aufwand hat sich gelohnt. Die beiden 16-Jährigen holten einen Landessieg und konnten sich etwas später auch über einen dritten Bundessieg freuen. Dabei haben sie es unter die besten 50 Beiträge von beachtlichen 1651 eingereichten Arbeiten geschafft. Eine Platzierung, die für beide sehr überraschend kam. „Wir hatten damit eigentlich nicht gerechnet, weil wir das erste Mal daran teilgenommen haben und keine Erfahrung in dem Bereich hatten. Wir sind so ein bisschen ins Blaue hinein gestartet“, gibt Liam zu. Eine Siegerehrung durfte natürlich nicht fehlen. So waren die beiden zu Gast im Haus der Geschichte in Bonn, wo ihnen die Schul- und Bildungsministerin des Landes NRW, Dorothee Feller, feierlich eine Urkunde für ihre Leistungen überreichte. „Das war schon eine große Ehre“, kommentiert Liam.
Neben den Siegen hat ihre Teilnahme zudem zu mehr Beachtung für das Thema Lokalgeschichte in ihrem Umfeld und an ihrer Schule geführt. Niemand habe von dem Wettbewerb gewusst und er selbst habe davon auf Instagram erfahren, sagt Liam. Ein großes Interesse teilzunehmen sei auch nach Bekanntmachung nicht vorhanden gewesen. „Im Freundeskreis haben viele gesagt, dass sie das cool finden, dass wir da mitmachen. Für manche wäre die Teilnahme einfach zu stressig gewesen“, erklärt Maria. Ihnen sei auch aus der Region nur noch eine weitere Teilnahme von Schülerinnen des Mädchengymnasium Jülich bekannt. Die 24 Schülerinnen einer 6. Klasse konnten mit ihrer Arbeit zum Thema „Wohnen in der Nachkriegszeit in Jülich (ab 1945)“ einen Gruppenpreis gewinnen.
Beide Beiträge zeigen; es ist von Bedeutung, dass sich junge Menschen mit ihrer Lokalgeschichte beschäftigen und auch Rückschlüsse auf ihr eigenes Leben ziehen können. Es sei wichtig, dass man sich mit seiner eigenen Historie auseinandersetzte, damit diese nicht in Vergessenheit gerate, findet Liam. Er schlägt vor, dass auch im Geschichtsunterricht, wenn es zeitlich in den Lehrplan passe, Ausflüge zu historischen Orten in der Region gemacht werden könnten, damit die Schüler einen Kontakt zur Lokalgeschichte knüpfen würden.
Eine Teilnahme beim nächsten Mal, turnusmäßig findet der Wettbewerb alle zwei Jahre statt, ist für die beiden auf jeden Fall eine Option. „Es hat uns sehr gut gefallen und es war gut, um mal tiefer in die Geschichte einzutauchen und selbst ein Projekt zu machen“, meint Liam. Es sei ein schöner Kontrast zum Geschichtsunterricht gewesen, denn man konnte mal selbst Historiker spielen, erklärt er weiter. Maria und Liam finden, eine Teilnahme sei für jeden etwas. Es sei eine gute Vorbereitung auf die Facharbeit, sagt Liam scherzhaft. Außerdem seien der Kreativität bei der Auswahl des Formats keine Grenzen gesetzt, ergänzt er. Es können neben schriftlichen Arbeiten zum Beispiel Spiele kreiert oder Filme und Hörbücher aufgenommen werden. Vor allem aber trage man durch die Teilnahme zur Erforschung seiner Lokalgeschichte bei, meint Liam. „Es ist eine sehr wichtige Arbeit, die man nicht unterschätzen darf, aber Arbeit, die Spaß macht.“