Mein Anruf in der Redaktion ist viel zu spät, aber ich komm nicht drumherum, diesen (Gehör)Gang nach Canossa zu beschreiten, denn ich habe den Oberbegriff für die Februar-Ausgabe nicht „mitbekommen“. Der Chefredakteur ist hocherfreut von mir so kurz vor Annahmeschluss noch etwas zu hören, denn neben dem „verlegten“ Oberbegriff muss mir auch die Tatsache entgangen sein, dass ich den Leitartikel für die kommende Ausgabe schreiben soll. Nun, das wäre ja eigentlich auch kein Problem, wenn nicht der hier genau wiedergegebene Schluss unseres Telefonats gewesen wäre:
„….also Kid, kommen wir zum Punkt, das Thema lautet Seitensprung – du schreibst den Leitartikel, ca 4.800 Zeichen – du hast noch 5 Tage Zeit – du kennst doch so viele Leute, da wird doch der ein oder andere „interessante“ Seitensprung dabei sein – ich bekomme gerade einen Anruf auf der anderen Leitung, alles klar, oder? Und tschüss!“
„Alles klar, oder?…du kennst doch so viele Leute, da wird doch… das kann nur jemand von sich geben, der sich in der Hauptsache seines beruflichen und privaten Lebens mit Kultur in Reinkultur beschäftigt. Dabei muss ich mich beim Thema „Seitensprung“ möglicherweise tief in die subkulturellen Abgründe der menschlichen Verhaltensweisen begeben, um Klarheit in den Nebel des Grauens, um Licht in das schwärzeste Loch der Jülicher Fisternöllchen-Galaxie zu bekommen. Aber wie soll mir das gelingen, ohne Ross und Reiter zu benennen, wobei ich im Zusammenhang mit den Thema die Redewendung Ross und Reiter einfach unglaublich gut finde.
So komm ich nicht weiter, zumal noch rund 4000 Zeichen vor mir liegen und die Nacherzählung einer wahren Geschichte mit der Nennung von Namen den Fortbestand des Herzogs wegen drohender Klagen und einstweiligen Verfügungen ernsthaft bedrohen würde.
Also werde ich mich der Sache von einer anderen Seite nähern, subtiler, quasi von hinten, sozusagen „durch die Brust ins Auge“ und zwar mit meinem eigenen und bis zum heutigen Tag einzigen Seitensprung in meinem noch verhältnismäßig jungen Dasein. Vorab möchte ich aber den geneigten Leser warnen – warnen vor einer schonungslosen, vor Schamlosigkeiten und Widerwärtigkeiten nur so strotzenden Aufarbeitung eines Fehltritts ungeahnten Ausmaßes. Daher empfehle ich ausschließlich charakterlich gefestigten Freunden des Herzogs die weitere Lektüre der folgenden Zeilen:
Der Herbst war gekommen. Die kräftigen Farben des Frühlings und des Sommers waren wie weggeblasen und die schon nach der Ruhe des Winters lechzende Zeit mit ihren schönen rötlichen und gelben Farben wurde nur ab und zu durch die dröhnenden Geräusche von Laubsaugern der städtischen Mitarbeiter gestört. Das kurz vor dem Abgang in südliche Gefilde noch verbliebene Federvieh schien den zweibeinigen Erdenbewohnern ein letztes „Lebewohl und bis bald“ zwitschern zu wollen und am liebsten hätte man es den Vögeln gleich getan, wenn auch nicht mit Gezwitscher, dann doch vielleicht mit dem geflöteten Freddy Quinn Klassiker „Junge, komm bald wieder….“ in Ilse Werner Manier.
Diese auch für mich herrliche Zeit wurde noch nicht einmal dadurch getrübt, dass ein sehr guter Freund mich, wissend um meine immensen handwerklichen Fähigkeiten, fragte, ob ich ihm bei seinem anstehenden Wohnungsumzug innerhalb der Stadtgrenzen Jülichs behilflich sein könnte.
So traf sich an einem wolkenlosen Samstagmorgen eine illustre Schar von Helfern an der Auszugswohnung. Auch ich war, bewaffnet mit meinem Profi-Akkuschrauber von Festool, pünktlich angekommen um Regale abzubauen und anschließend die geschätzten 1572 Umzugskisten aus dem 2. Stock der Altbauwohnung in den eigens für den Umzug angemieteten Transit zu schleppen.
Nachdem ich meine Umzugskiste Nummer 137 in den Transit getragen hatte (und gleichzeitig Treppenstufe 5480 gezählt hatte) begab ich mich in eine Runde von dauerpausierenden Helfern und erzählte, gewiss mit einem Anflug von enormer Vorfreude, dass ich am nächsten Wochenende meinen geliebten 1. FC Köln zum Auswärtsspiel nach München zu den hiesigen Bayern begleiten würde, verbunden mit einem anschließenden Besuch auf dem Oktoberfest. (Für die Statistiker: Das Spiel endete 0:0)
Die üblichen Prognosen über den Spielausgang bewegten sich in einem Spektrum von 3 bis 8 zu 0 für die Bajuwaren, was mich nicht weiter störte, weil die meisten der anwesenden „Hellseher“ Fans eines Bundesligisten in der Nähe von Reydt waren.
Der Umzug war nach dieser kleinen Pause weiter voll im Gange, es wurde viel und hart gearbeitet. Das Grausame bei Umzügen ist eigentlich, dass alles, was in den Lieferwagen hineingetragen wird, irgendwann, in der Regel am Einzugsobjekt, wieder raus muss und dabei sind Möbelstücke, egal ob groß oder klein und Kisten, egal ob leicht oder schwer, immer eine dankbarere Aufgabe als die in jeder Wohnung anzutreffenden unzähligen Töpfe mit lebenden oder vertrockneten Pflanzen aller Art (noch unangenehmer sind eigentlich nur noch wabbelige, schwere Schlafmatratzen).
Beim Einzug blieb mir das Umhertragen von Ficussen zum Glück erspart, weil ich mit dem Aufbau von diversen Regalen einer weltweit agierenden schwedischen Möbelfirma beauftragt war.
Zum Abend hin, nach getaner Arbeit, fühlte ich mich ein wenig müde, um nicht zu sagen, ich fühlte mich wie ein erschlaffter Billyboy, aber die Aussicht auf ein zünftiges „Helfer-Abschluss-Fest“ mit leckerem Essen und diversen eisgekühlten Tröjot (Kölsch) weckte in mir die letzten noch vorhandenen Lebensgeister.
In geselliger Runde trafen wir uns im Garten des neuen Hausherrn und auf improvisierten Tischen stärkten wir uns mit einer hervorragenden Gulaschsuppe und diversen Gerstensäften. Wie üblich bei solchen Zusammenkünften wurde viel erzählt, gelacht und gesungen, so dass die Zeit wie im Fluge verrann. Plötzlich fing ich jedoch an zu frösteln, was vielleicht an meinem luftigen Outfit in einer sternenklaren Herbstnacht lag. Ich bat meinen „sehr guten Freund“ mir mit einem „Pullover oder sowas“ auszuhelfen. Wortlos nahm er meine Hand, führte mich in einen dunklen Raum, kramte in einem Karton herum um mir schließlich ein wirklich wärmendes Textil überzustreifen. Sanft legte er seine Hand auf meine linke Schulter, zog mich an sich heran und flüsterte mir ins Ohr: „Das tu ich nur für Dich, mein Freund“.
Er drückte mich fest an seine alles andere als stahlgehärtete Brust und klopfte mir dabei behutsam auf den Rücken… Ich war über-wältigt und glücklich über diesen erneuten Freundschaftsbeweis.
Wieder im Garten angelangt, schien es mir so, als wollten alle Anwesenden mit mir mein Glück teilen, alle umarmten mich oder prosteten mir überschwänglich zu und überhaupt, auf einmal stieg die Stimmung in schier unglaubliche Höhen.
Weil das Kölsch jetzt seinen Weg aus meinem Körper nach draußen ankündigte, verließ ich die Gesellschaft und fand im Haus die Gästetoilette, die lediglich mit einem 20 Watt Heatball beleuchtet war. Nach der Verrichtung meines kleinen Geschäftes wusch ich mir die Hände und wagte einen spärlichen Blick in den provisorisch befestigten Spiegel über dem Waschbecken.
Schemenhaft erkannte ich auf meiner Brust ein Dreieck, nein, eine Raute mit einer Acht in der Mitte, vermutlich in den Farben Schwarz – Weiß – Grün… nein, oh Gott, es war keine Acht, abgebildet war ein B… das Borussia B… oh nein… ich war unbewusst eine Liaison mit dem Erzfeind eingegangen, alle hatten es gesehen.
Zwischen meiner nackten Haut und der Borussia war nur noch ein Fetzen der Marke Fred Perry…mir wurde schlecht und leider auch schwarz vor Augen. Immer wieder lief in meinem Gehirn der gleiche Traum ab, wie sich mein Haupt in eine Art Eselskopf verwandelt und Rainer Bonhof mich mit Zuckerwürfeln füttert, um mich herum stehen die Helfer und lachen so laut, dass man es noch bis zur Dom-platte hören kann.
Mein arrangierter Seitensprung mit der Mannschaft vom Niederrhein war wohl das Niederträchtigste, was einem aufrechten Menschen und Fußballfan widerfahren konnte.
Ich stahl mich aus dem Haus heraus und ver- schwand über die Kanalisation der Stadt Jülich, bis ich einen Aufgang in der Nähe meiner Wohnung gefunden hatte. In den darauf folgenden Wochen vermied ich Auftritte in der Öffentlichkeit um giftgrünes Gras über die Sache wachsen zu lassen.
Noch heute plagt mich die Frage, wie ich das Hennes VIII erklären soll.
Liebe Leserinnen, lieber Leser,
mit dieser Geschichte haben Sie zwar nichts über historisch bedeutende Seitensprünge in Jülich erfahren, aber folgendes bleibt festzuhalten:
- Der Herzog lebt weiter
- Sie wurden (zu Recht) in einer Abhandlung über Seitensprünge nicht genannt
- Ich bin endlich dabei, mein Trauma zu verar- beiten
- Ich glaube zu wissen, warum alkoholbedingte Oralausscheidungen zumeist grünlich erscheinen.