Start Stadtteile Jülich 24.000 Autofahrten mehr erwartet – Verkehrskonzept steht aus

24.000 Autofahrten mehr erwartet – Verkehrskonzept steht aus

Vorstellung des Zwischenschritts zum Handlungskonzept Mobilitätsplan. Erhebung von Verkehrsdaten für 2024 geplant.

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Gutachter Jochen Richard, Chef des Planungsbüros Richter-Richard Aachen/Berlin, stellte die ersten Ergebnisse vor. Foto: Stephan Johnen
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Wer die Schreibtischschublade aufzieht, sollte fündig werden: Konzepte für Einzelhandel, Schienenverkehr, ÖPNV und Klimaschatz, Untersuchungen zu vereinzelten Verkehrsflüssen und diverse Planungskonzepte. An Papier mangelt es nicht, wohl aber an Aussagekraft. „Die Stadt Jülich hat eine hohe dynamische Entwicklung“, sagt Gutachter Dipl.-Ing. Jochen Richard, Chef des Planungsbüros Richter-Richard Aachen/Berlin, zu dessen Schwerpunkten die Stadt- und Verkehrsplanung zählen. Was er damit eigentlich sagen möchte: Trotz oder gerade wegen aller einzelnen (meist kleinteiligen) Untersuchungen und Planungskonzepte fehlt es an belastbaren und nachvollziehbaren Informationen, die das „große Ganze“ in den Blick rücken lassen. Wer auf der gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für Kultur-, Dorf- und Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung mit dem Planungs-, Umwelt- und Bauausschuss ein druckreifes Handlungskonzept Mobilitätsplan erwartet hatte, muss sich noch etwas in Geduld üben. Aber den Fahrplan zum integrierten Handlungskonzept skizzierte der Gutachter ziemlich zackig.

„Alle bisherigen Untersuchungen sind richtig, fast alle gut, aber eigentlich ist nichts so richtig fertig. Wir haben trotz aller Gutachten keinen Überblick, wie viel Verkehr wo und warum durch diese Stadt fährt“, bilanzierte Jochen Richard. Ohne weitergehende und standardisierte Untersuchungen zur Verkehrsentwicklung aber gebe es keine aussagekräftige Verkehrsprognose. Und ohne evidenzbasierte Zahlen wird auch die Erstellung eines qualifizierten Parkraummanagements schwierig. Zur Prüfung der Umsetzbarkeit beziehungsweise um überhaupt zur Umsetzung zu gelangen, seien vertiefende Betrachtungen und Aktivitäten erforderlich. Ein weiteres Gutachten also. Die gute Nachricht: „Wir müssen nicht bei null anfangen, aber ein paar Sachen zu Ende zu denken“, urteilte Richard. Bislang sei vor allem im Detail diskutiert worden – aber eben nicht im Konzept. Der Verwaltung empfahl er generell, äußerst komplexe Situationen nicht mit der klassischen preußischen Verwaltungsstruktur lösen zu wollen.

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Was muss also geschehen, um ein umfassendes Verkehrskonzept entwickeln zu können? Zunächst müssen die einzelnen Inseln miteinander verbunden werden, denn alles hängt mit allem zusammen. Die To-do-Liste ist lang, hier ein Auszug: Erstellung einer Straßenhierarchie und eines Stadtgeschwindigkeitskonzepts, Auswertung der Unfalldaten, Definition von Fußverkehrs-Hauptrouten, Barrierefreiheit in der Fläche erreichen, Weiterentwicklung und Ausbau der Mobilpunkte, qualitative Aufwertung der Hauptachsen und der Stadtzugänge, Fortschreibung des veralteten Klimaschutzkonzept mit stärkerem Schwerpunkt auf dem Verkehr, Erstellung eines integrierten Mobilitätsplans samt dynamischer Mobilitätsplanung, Einpassung von Maßnahmen in den Strukturwandel des Reviers (Fördertöpfe anzapfen), Ermittlung der Potenziale für Schienengüterverkehr im Stadtgebiet. „Das klappt besser, wenn es gelingt, zum Personenverkehr auch Güterverkehr auf die Schiene zu bringen“, empfahl der Gutachter der Politik, frühzeitig und mit langem Atem auch das Gespräch mit der Industrie und den Betrieben zu suchen. „Wenn Sie mich fragen, welche Projekte gelingen würden, lautet die Antwort: Dazu fehlen die Fakten.“

Der wichtigste Schritt, der aber auch am meisten Zeit in Anspruch nehme, sei die Erfassung von Verkehrsdaten mit einheitlichen Vorgaben während eines klar definierten Zeitfensters im gesamten Stadtgebiet. Die bisherigen Einzelmessungen seien kaum miteinander vergleichbar und würden eine darauf basierende Entscheidungsfindung nur verzerren. Zur zeitscheine des „Pakets 1“ sagte der Gutachter: Eine Auftragsvergabe könne bis Ende 2023 erfolgen, damit die Vorbereitungen zum Frühjahr 2024 abgeschlossen sind. Eine Verkehrsuntersuchung sei aber vor einer Wiedereröffnung der Rurbrücke und der Normalisierung der Verkehrsflüsse innerhalb der darauf folgenden acht Wochen nicht sinnvoll. Ebenso wenig eine Untersuchung während der Sommerferien. Das Zeitfenster ist also eng, bis zur Auswertung könne es locker 2025 werden. Ergänzend müsse es Befragungen der Kraftfahrer (Von welchem Startpunkt führt die Fahrt zu welchem Zweck zu welchem Ziel?) und eine Untersuchung des ruhenden Verkehrs geben.

Auf Basis dieser Verkehrszählung und Kraftfahrer-Befragung seien die Potenziale erkennbar, die dahinterstecken. So lässt sich erkennen, welche Straßen die Kapazitätsgrenze längst überschritten haben, wo noch Spielräume für Fußgänger und Radfahrer sind, wie mit KFZ-Verkehr und ÖPNV künftig umgegangen werden kann und soll.

Im „Paket 2“ fasst der Gutachter begleitende Aktivitäten zusammen, die bereits jetzt schon angegangen werden können. Dazu zählen die Weiterentwicklung des Schienenverkehrskonzept, die (politische) Positionierung der Stadt Jülich für die Fortschreibung des Nahverkehrsplans (Richter: Nur was hier drinsteht wird überhaupt eine Chance auf Förderung haben), die Einbindung der Stadt in das überregionale Radverkehrsnetz. „Paket 3“ sind Themen wie die Bearbeitung des Einzelhandelskonzepts, die Aufwertung der Hauptachsen und das Klimaschutzkonzept, die zwar wichtig seien, aber auch im kommenden Jahr noch angegangen werden könnten. „Sie sind aber in vielen Punkten heute schon handlungsfähig, können Entscheidungen treffen“, rief der Gutachter der Politik zu. Wichtig sei auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit den finanziellen Rahmenbedingungen, sie Suche nach Spielräumen durch Umschichtung, die Frage, ob Eigenmittel für die Nahverkehrsplanung eingebracht werden können, um neue, zusätzliche Angebote für den ÖPNV zu schaffen.

Wie dringlich es ist, das Zahlenwerk zu komplettieren, um zielgerichtete Entscheidungen treffen zu können, verdeutlichte der Gutachter mit einer groben Schätzung der Verkehrserzeugung. Wenn alle Neubaugebiete fertiggestellt sind, rechnet der Experte mit 18.000 bis 24.000 KfZ-Fahrten mehr. Pro Tag. Mit unbekanntem Ziel. Schwerpunkte der Verkehrszunahme seien im Norden der Stadt und in der Innenstadt. Auf die politischen Entscheidungsträger kommt einiges zu.

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Stephan Johnen
Kein Muttkrat, aber im Besitz einer Landkarte. Misanthrop aus Leidenschaft, der im Kampf für Gerechtigkeit aus Prinzip gerne auch mal gegen Windmühlen anreitet. Ist sich für keinen blöden Spruch zu schade. Besucht gerne Kinderveranstaltungen, weil es da Schokino-Kuchen gibt, kann sich aber auch mit Opern arrangieren.

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3 KOMMENTARE

  1. Liebes Herzog-Team,
    danke für die ausgewogene Dokumentation des Vortrags! Leider habe ich anhand einiger Nachfragen von Ausschussmitgliedern ein mulmiges Gefühl: Manche hätten wohl eher knackige Schnellschüsse für politischen Aktionismus erwartet als ein Konzept für eine tragfähige Datenerhebung und -auswertung, was im Verkehrsnetz des Stadtgebietes aktuell los und künftig erforderlich ist, um einen Verkehrskollaps nach der Ansiedlung von 7 000 Neu-BürgerInnen in den Baugebieten und 8 000 neuen Arbeitsplätzen in den Gewerbegebieten bis 2020 zu vermeiden. Die Nachfragen signalisierten eine teilweise Abkehr vom mehrheitlichen Grundkonsens von Jül, SPD, FdP und CDU, den teils erheblich widersprüchlichen Flickenteppich von Mobiltätskonzept für Radfahrende, Fußverkehrs-Check, veralteten Einzelhandels- und Stadtentwicklungskonzepten und kleinteiligen Verkehrsuntersuchungen für isolierte Knotenpunkte im unmittelbaren Umfeld von Neubau- und Gewerbegebieten zu aktualisieren. Genau diese kritisierten Vorschläge des Experten sind aber unabdingbare Voraussetzungen eines faktenbasierten, integrierten Verkehrskonzepts für das gesamte Verkehrsnetz für alle Verkehrsarten im Bereich der Stadt Jülich zur Vermeidung eines Verkehrsinfarkts in der Innenstadt und im Jülicher Norden (zwischen Brainergy-Park, TZJ und FZJ) oder für Insider: Große Rurstraße/Neußer Straße und von-Schöfer-Ring/Oststraße mit den zahlreichen neuen Bebauungsplänen!

  2. Wer die Schreibtischschublade aufzieht, sollte fündig werden … An Papier mangelt es nicht, wohl aber an Aussagekraft .. Damit ist eigentlich schon genug gesagt. Automatische Datenerfassung und Verkehrszählung ist kein Neuland und sollte erste Wahl bei solchen komplexen Themen sein. Damit wie auch angesprochen Werte aktuell und belastbar sind, Änderungen dauerhaft erfasst werden und keine zeitlichen Einschränkungen bei der Erfassung das Bild verfälschen. Ich kann nur hoffen das diese Begriffe nicht der Realität, sondern nur der plakativen Darstellung entstammen.
    Natürlich muss alles realisierbar und auch finanzierbar sein, aber zur Begutachtung sollte das überhaupt keine Rolle spielen. Momentan wird m.E. mehr an die Verbesserung der Symptomatik als an die grundsätzliche Planung gedacht. Glücklicherweise hat man etwas Zeit, da vor Wiedereröffnung der Rurbrücke jegliche Datenerfassung unnötig ist.

  3. Bis zum 20.11.2023 konnten die JülicherInnen aus Stadt und Dörfern an der online-Beteiligung zur „Lärmaktionsplanung“ teilnehmen und ihre Kritik am Verkehrslärm und Vorschläge zur Verkehrslärmbekämpfung melden. Bis zum Abend des 20.11., 19:25 Uhr, lagen 101 Meldungen, 74 Kommentare zu den Meldungen und 1762 Bewertungen der Meldungen und Kommentare der BürgerInnen vor, davon mit Abstand die Allermeisten im Jülicher Norden (zwischen Brainergy-Park, TZJ und FZJ) also von-Schöfer-Ring/Oststraße mit den zahlreichen neuen Bebauungsplänen. Leider soll diese Route nicht in den Lärmaktionsplan gar nicht aufgenommen werden, weil die Datenbasis für die Kfz-Bewegungen laut Jülicher Verwaltung „nicht ausreichen“ soll. Bisher ist diese Daten-Basis aber weder erhoben worden, noch sind Zählstellen von Herrn Richard auf dieser Route in seiner Präsentation vorgeschlagen worden!
    Demnach ergäben ein Verkehrskonzept laut H. Richard ohne die Zahl der KFz-Bewegungen auf dieser Route und ein Lärmaktionsplan für die Stadt Jülich ohne Verkehrszählung auf dieser Route schlicht weiter Schubladenpapiere und wieder kein schlüssiges Verkehrs- und Lärmschutzkonzept für ganz Jülich!
    Es wäre Geld- und Personalverschwendung der Stadt jülich, das nächste Papier für Schubladen zu machen, weil Verkehrszahlen weiterhin nur für Landes- und Bundesstraßen berücksicht werden sollen.
    Solange die Stadt Jülich die Fakten für ihre Verkehrsinfrastruktur nicht kennt, sind alle politischen Entscheidungen über Verkehrs- und Mobiltätskonzepte für FußgängerInnen, Radfahrende, Individual- und Öffentlichen Personennahverkehr, Schulwege, Gewerbe-, Wohn- und Parkflächen eher subjektives Bauchgefühl, Ideologie oder Partikularinterressen an der BürgerInnenmehrheit vorbei.
    Ohne umfassende, belastbare Datenbasis kann niemand vernünftig planen und entscheiden, auch Jülicher Verwaltungsbeamte und -politikerInnen nicht! Jülich braucht ein zukunftsfähiges und wachstumsorientiertes (integriertes) Verkehrkonzept für alle EinwohnerInnen, Verkehrsteilnehmerinnen, Ein- und AuspendlerInnen, Unternehmen usw. im gesamten Stadtgebiet einschl. der Siedlungsräume in allen Ortsteilen!

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