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Protokolle, rote Bücher und Flamingos

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Foto: Verlag
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„Es wird ein kleines Abenteuer für Sie sein“, sagt Peregrine „Perry“ Gibbons „seinem Mädchen“ Julia Armstrong, als er sie auf die nächste Stufe ihrer Arbeit vorbereitet. 1940 wird die 18-jährige vom MI5 als Schreibkraft rekrutiert und nach kurzer Zeit von ihm vorerst dazu angeworben, als seine Phonotypistin zu arbeiten – sie soll Gespräche abtippen, die zwischen Mitgliedern der „fünften Kolonne“, Sympathisanten der faschistischen Regierung Deutschlands, und dem MI5-Mitglied Godfrey Toby, der sich als Gestapo-Agent ausgibt, abspielen. Schließlich darf sie auch undercover gehen, um den Informationsfluss der Sympathisanten zu stoppen und dabei neues Wissen zu erlangen. Als Agentin scheint sie sich schon dadurch zu eignen, dass sie selten ihre Meinung und häufig das sagt, was opportun erscheint, wie bereits früh zu erfahren ist. Eine Einstellung, die auf ihre Arbeit vorbereitet, denn: „Wenn Sie eine Lüge erzählen, erzählen Sie eine gute.“

Julia, wohl aufgrund einiger Schicksalsschläge und des zweiten Weltkriegs zwischen sarkastisch-zynisch und kaltherzig geartet, begegnet im Laufe ihres Dienstes vielen beinahe bizarr anmutenden Figuren, die immer wieder für sie undurchsichtige Handlungen begehen. Die Erfahrungen und Taten der 18-jährigen sollen nicht nur die Kriegszeit bestimmen – die Konsequenzen für sie ziehen sich bis zehn Jahre später, in ein scheinbar anderes Leben als Produzentin bei der BBC, hinein.

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Genau wie Spionagearbeit an sich hat die Geschichte zahlreiche Figuren und Verstrickungen, die nicht leicht zu lösen scheinen. Das Knäuel und die Zusammenhänge entwirren sich erst nach und nach, was besonders den Beginn des Buches schwierig zu lesen macht – die harten Fakten am Anfang aufzudecken wäre aber sicher auch nicht einem Spionageroman angemessen. Es empfiehlt sich, keine zu lange Pause zwischen den Lesungen zu machen, um Handlungen und Verbindungen nicht zu vergessen. Dadurch lernt aber die Leserschaft zusammen mit der Hauptfigur die Spionagearbeit – oder wie Perry sagen würde: „Es ist wichtig, keinen Wahnvorstellungen und Neurosen auf den Leim zu gehen“, aber man sollte auch „nichts für bare Münze“ nehmen. Und, fast realitätsnah, findet nicht jede lose Ende schließlich seine Verknüpfung.

Aus ihrer Sicht erzählt gibt der Roman Einblicke zwischen Ermittlungsarbeit, für sie nervtötendem Schreiballtag und der Gefühlsweit einer jungen Frau, die sich bewertende Gedanken über verschiedene Personen und etwa Vorgehensweisen des MI5 macht. Diese verschiedenen Ebenen fügen sich zu einem logischen Bild über Julia Armstrong zusammen. Actiongeladene Szenen finden sich selten und als Ergebnis der Arbeit „dahinter“. Wert scheint mehr auf die Informationssammlung, das Auflesen von Hinweisen und die Darstellung der einzelnen Figuren gelegt zu werden. Kate Atkinson hat sich für ihren Roman an historischen Figuren und Begebenheiten bedient, aber viele „Lücken gefüllt“, wie es ihre Protagonistin mit ihren Protokollen zu den schwer verständlichen Tonaufnahmen tut. Was genau man von den Spionen und ihrer Arbeit halten soll, ist zum Schluss schwer zu sagen. Sicher ist nur, dass die Dinge selten so sind, wie sie scheinen.


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