Was hat sie bewogen, sich auf diese Stelle im Kirchenkreis zu bewerben?
Elke Bennetreu: Da muss ich kurz etwas zu meiner vorherigen Arbeit sagen. Ich habe seit dem 1. Juli 1985 bei der Ev. Gemeinde zu Düren gearbeitet und Ende der 80iger Jahre eine damals neue Form der Seniorenarbeit aufgebaut. „Das Netz für Menschen in der zweiten Lebenshälfte“ war der Name des Ganzen, darunter verbargen sich viele verschiedene Gruppen, in der Seniorinnen und Senioren mit und für andere Seniorinnen und Senioren tätig waren. Dazu gehörten Bildungsangebote, die mit Begegnungsangeboten einhergingen, wie das Erzählcafé. „Gemeinsam statt einsam“, das war ein Slogan dieser Arbeit. Auch die Begleitung und Fortbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war ein Teil dieser Arbeit. Damals hat mich Hans Stenzel als Bildungsreferent des Kirchenkreises Jülich gebeten auch in der Fortbildung von ehrenamtlichen Mitarbeitenden im gesamten Gebiet des Kirchenkreises mitzuwirken. Als er dann in den Ruhestand ging, bewarb ich mich auch die freigewordene Stelle im Kirchenkreis, weil ich davon ausging, dass ich mein Interesse an thematischer und teilnehmerorientierter Bildungsarbeit intensivieren konnte. Ich darf rückblickend sagen, dass sich diese Erwartung erfüllt hat.
Wie gelang es Ihnen, dass Ihre vielfältigen Ideen, Veranstaltungen und Reisen auf so großes Interesse fielen?
Elke Bennetreu: Nun, erst einmal danke, dass Sie meinen, ich hätte vielfältige Ideen, und dass Sie meinen, sie seien auf großes Interesse gestoßen. Nun mit den Ideen ist das so eine Sache. Schon im damaligen Bewerbungsgespräch stellte ich die Idee vor, für einen bestimmten Zeitraum ein Schwerpunktthema in den Mittelpunkt zu stellen. Damit nahm das Geschehen seinen Lauf, denn wenn man bewusst ein Thema in den Mittelpunkt stellt, beginnt eine Recherche- und Forschungsarbeit, die einen nicht mehr loslässt. Ich wurde viel sensibler für ein Thema, alle meine Antennen waren ausgestreckt und ich nahm in sämtlichen Medien dieses Thema wahr. Das ging stets mit viel Lesen und Studieren einher, mit Referenten-, Fachleuten- und Teilnehmeraustausch und der Suche nach passenden Medien. Dabei war es mir von vornherein ein Anliegen, das Thema aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Es zum Beispiel im Rahmen theologischer und existentieller, politischer oder kultureller Bildung zu betrachten. Damit einhergehend wuchs irgendwann ein ausgesprochenes Interesse am Einsatz ausgewählter Filme. Ich weiß nicht, wie viele Filme ich gesehen habe, um die auszuwählen, die jeweils zum Thema passten. Hier bin ich über die Kooperation mit dem Kulturbahnhof und Cornel Cremer als Geschäftsführer sehr dankbar.
Ist denn kulturelle Bildung aus Ihrer Sicht wichtig in einer evangelischen Bildungsarbeit wichtig?
Elke Bennetreu: Oh ja, denn hier spiegelt sich ja der gesamte gesellschaftliche und politische Kontext, aber auch unsere individuellen Grundfragen und die Fragen des sozialen Miteinanders. Ob in Literatur, Film, Theater, bildende Kunst und last but not least der Musik – besseres Anschauungsmaterial für Fragen rund um unser Dasein gibt es nicht. Und das gehört in die Mitte einer evangelischen Bildungsarbeit. Ja, vielleicht ist das auch eine Antwort darauf, dass unsere Veranstaltungen auf Interesse gestoßen sind, weil wir damit anschauliches Material liefern konnten – und das mit Referentinnen und Referenten, die das gut vermitteln konnten.
Wie haben Sie die Referentinnen und Referenten gefunden?
Elke Bennetreu: Manchmal habe ich bewusst selbst Veranstaltungen besucht, um potentielle Referenten kennenzulernen und auszuprobieren. So bin ich nach Bonn ins dortige Philosophische Café gefahren und habe Markus Melchers kennengelernt und ihn für unsere Bildungsarbeit gewonnen. Auch die Theologin und Germanistin Dr. Magda Motté habe ich so kennengelernt, ich habe ein Seminar mit ihr besucht, fand sie gut und habe sie gebeten, auch für uns zu arbeiten. Margret Hanuschkin kannte ich bereits als freie Journalistin in Düren, das war leicht – und ein Gewinn für Jülich. Klaus Brehm wiederum war ein Teilnehmer meiner Studienreise nach Israel, ich lernte ihn und seine Qualifikation kennen und fortan wurde er ein fester Referent im Bereich der Literatur und Theatervorbereitung. Bevor ich Pedro Obiera kannte, kannte ich seine in der Kirchengemeinde Jülich engagierte Frau Silvia, die den Weg zu ihm vermittelte. Andere Referenten suchte ich gezielt: Dr. Mathias Jung im Rahmen der Lebensberatung, Otmar Steinbicker im Bereich der politischen und historischen Bildung bis hin zu Eugen Drewermann, Aleida und Jan Assmann.
Doch dann kam Corona. Wir haben beobachtet, dass Sie schnell zu digitalen Angeboten gewechselt sind, wie war das für Sie?
Elke Bennetreu: Also schnell war das nicht. Im Nachhinein muss ich selbstkritisch sagen, dass ich so lange es ging an analoger Bildungsarbeit festgehalten habe. Wenn es keinen Lockdown gab, habe ich in den Kirchengemeinden Angebote vorgehalten, die dazu bereit waren – auch in Jülich. Bei dem ersten längeren Lockdown habe ich zunächst den Kontakt über Emails und Telefonaten organisiert. Auch hier habe ich mich um ein gewisses thematisches Arbeiten und einen Austausch unter den Teilnehmenden bemüht. Aber der richtige digitale Durchbruch kam erst, als nichts mehr ging. Ehrlich gesagt fehlte mir jegliches Wissen, für Fortbildungen war es da auch zu spät. Dann kam es zu ersten Zoom-Konferenzen und Pilotprojekten. Wichtig war das Fitmachen der Referenten und Referentinnen für die digitale Arbeit. Und das alles digital, nie persönlich. Eine Firma, die eine digitale Unterstützung anbot, habe ich hinzugenommen. Doch sie war weniger hilfreich als gehofft. Besser war da schon Rainer Haselier, der für unseren Kirchenkreis der IT-Fachmann ist, aber auch für ihn war hier vieles neu. Mit viel Geduld und unzähligen Versuchen mit unseren Referenten konnten wir schließlich ein digitales Angebot auf die Beine stellen, das sich sehen lassen konnte. Das sehe ich heute so, wenn ich auf diese Zeit zurückschaue. Außerdem finde ich diese digitale Arbeit wichtig. Für Menschen, die immobil sind oder weiter weg wohnen, ist das eine sehr gute Alternative. Persönlich erfahre ich, dass man sich sehr gut auf das Thema konzentrieren kann und im überschaubaren Teilnehmerkreis sich auch gut austauschen kann.
Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf Ihre Amtszeit zurück?
Elke Bennetreu: Im Großen und Ganzen überwiegt ein dankbares Gefühl. Dabei geht es mir weniger darum, dass ich „meine“ Interessen entfalten konnte, sondern, dass ich das Gefühl habe, dass wir gemeinsam Fragende, Suchende, Recherchierende waren – die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Referenten und Referentinnen und ich als ein Teil des Ganzen. Dass ich die Impulse gegeben habe, dass die Referentinnen und Referenten die Inhalte so gut umgesetzt haben, die Teilnehmenden so aktiv dabei waren – das ist schon ein Geschenk. Übrigens neben all dem Organisieren und Managen war es mir immer ein Anliegen, selbst Themen zu erarbeiten und als Referentin zu arbeiten. Dass man auf diese Weise tiefer in ein Thema einsteigt, sich dem Kosmos eines Menschen erschließt, mit denen man sich beschäftigt, ist eine Lebensbereicherung, die tief verinnerlicht ist. Ob Hesse, Rilke, Goethe, Camus, Domin, Lasker-Schüler, Ausländer, Schwarzenbach, St. Exupéry, Etty Hillesum, Dorothee Sölle oder Viktor Frankl – sie leben mit mir und bestärken mich in den Herausforderungen meines Lebens. Was will ich mehr.
Ich habe Ihre Beiträge zu Etty Hillesum und den Mystikerinnen sehr geschätzt, bedeuten sie Ihnen viel?
Elke Bennetreu: Oh natürlich, sie sind Lebensbegleiterinnen und –helfer. Sie sind durch solche Tiefen gegangen, äußere und innere, aber sie sind „im großen Fluss des Lebens“ geblieben, wie Etty Hillesum es gesagt hat, sie sind immer wieder aufgestanden, haben den Blick nach oben gerichtet und wussten, wir sind eingebunden in eine großes Ganzes, das uns keiner nehmen kann. Auch nicht die deutschen Nationalsozialisten, die die niederländische Jüdin Etty Hillesum in Auschwitz ermordet haben. Ihre Texte in die Öffentlichkeit zu tragen, ist mir ein wichtiges Anliegen gewesen. Ein Schwester im Geiste, die imaginär rund um sich eine Mauer hochzog, hinter der sie verschwand, um still zu Gott zu beten – und dann anders und gestärkt in die Wirklichkeit zurückging.
Sie haben das Thema „Natur und Mensch“ zum Abschluss Ihrer Bildungsarbeit gewählt, warum ist Ihnen das Thema wichtig?
Elke Bennetreu: Es ist das Thema, das ganz oben auf liegt. Wie keine Generation vor uns müssen wir unsere Fehler im Umgang mit der Natur und unserer Mitwelt erkennen. Mir ist es wichtig gewesen, hier naturwissenschaftliche und politische Themen zu wählen, die das herausarbeitet. Der Jülicher Presbyter Dr. Martin Appuhn war übrigens ein hervorragender Referent. Als Biologe erläuterte er uns übergreifende Zusammenhänge im Bereiche der Bioökonomie und Agrobusiness, die für unsere Zukunft bzw. Gegenwart enorm wichtig sind. Auch Hannes Eggers vom Nabu erörterte Hintergründe über eine „naturverträgliche“ Energiewende, die wir oft übersehen werden. In diesem Zusammenhang muss ich aber auch die gute Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum erwähnen, das ich mit drei Gruppen mit je 20 Teilnehmenden besuchen konnte. Doch daneben haben wir das Thema auch in der Literatur, im Film und in der Musik verfolgt. Das waren kritische Beiträge, wenn ich an Jan Wagners Gegenwartslyrik zur Natur denke. Es waren wertschätzende Beiträge, wenn ich an Goethe, Eichendorff, Rilke oder Ingeborg Bachmann denke. Ebenso aber waren es auch nachdenkliche Beiträge über unser Eingreifen in die Natur zu unserem Nutzen. Das haben schon Denker wie Goethe und Rilke hervorgehoben, aber auch Richard Wagner, wie Pedro Obiera uns das anschaulich vermittelt hat.
Das Thema war herausfordernd für mich. Aber ich denke, es ist ein hervorragendes Thema zum Abschluss. Ein Thema, mit dem man „nicht fertig wird“, um es mit Worten von Hilde Domin zu sagen:
Nicht fertig werden
Die Herzschläge nicht zählen,
Delfine tanzen lassen.
Länder aufstöbern,
aus Worten Welten rufen,
horchen, was Bach zu sagen hat.
Tolstoi bewundern.
Sich freuen, trauern.
Höher leben, tiefer leben.
Nicht fertig werden.
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