Einmal aussetzen, bitte, und einfach nichts tun und sich des Daseins erfreuen: Zufrieden liegen Maya, Millie, Elfie und Hopper im Schlamm und dösen im Schatten. Grundausgeglichen und mit reichlich Gottvertrauen gesegnet brauchen sie auf dem Old McDonald’s Lebenshof nichts zu fürchten. Normalerweise wäre keines der vier Hausschweine mehr am Leben, von Elfie vielleicht abgesehen. Sie hatte eine Zukunft vor sich, bei der sie im 0,75 Quadratmeter großen Kastenstand ein Ferkel nach dem anderen gebärt hätte, bis sie als „Produktionsmaschine“ ausgedient in der Gaskammer geendet wäre.
Dass dies nicht so ist, darum kümmern sich Julia und André Cremer. Dazu haben die beiden Aldenhovener den gleichnamigen Verein Old McDonald’s Lebenshof gegründet, der viele Unterstützer im Jülicher Land hat. Sie sorgen dafür, dass Tiere, die womöglich ausgesetzt, auf irgendeinem Teller gelandet oder noch schlimmere Schicksale erdulden müssen, eine Zukunft haben.
So wie die Aufnahme von Tieren aus katastrophaler Haltung. Kaum zu glauben, dass die drei ehemaligen Ferkel als „Kümmerlinge“ beinahe ausgesondert worden wären. Zudem hatte Eber Hopper einen Leistenbruch, wodurch sich seine Gedärme verschoben. Innerhalb weniger Tage wäre er wohl ohnehin gestorben, wenn der Lebenshof nicht eingegriffen hätte. Aber auch die geplante Zuchtsau Elfie hatte kein Gesicht mehr, als sie auf dem Lebenshof eingetroffen war.
Als Zuchtsau in einem Mastbetrieb bleiben ihr und ihren Ferkeln nicht viel Platz für ein entspanntes Leben. Die Kleinen beginnen wohl aus Langeweile, Frustration und Aggression, sich gegenseitig, aber auch die Mama zu verstümmeln. Immerhin seien Schweine sehr empathievolle Wesen, die viel Nähe zueinander suchten, erklärt Julia Cremer. Eine Salbe aus selbst zusammengestellten Kräutern habe Julia anschließend jeden Tag ins Gesicht geschmiert, bis sich Narbengewebe gebildet hat. „Mittlerweile sieht es wirklich gut aus.“
Dabei fing alles völlig harmlos an. 2020 haben Andre, der auch als Sänger und Gitarrist der Irish-Folk-Band „Cupful Swill“ im hiesigen Raum bekannt ist, und Julia Cremer das Haus samt Grundstück erworben. Weil sie ohnehin eine ökologische Einstellung besaßen, entstand die Überlegung, sich „natürliche“ Rasenmäher in Form von Schafen zuzulegen.
Dabei handele es sich um eine relativ einfach zu haltende Rasse, meint Andre. „Kamerun-Schafe sind wolllos. Das heißt, man braucht sie nicht scheren lassen.“ Auch sei es generell eine der robustesten Schafrassen, die Temperaturen von -15 bis +40 Grad Celsius relativ problemlos vertrügen. Aus dieser „Zweckgemeinschaft“ entwickelte sich letztlich die Herde aus Menschen und Tieren. „Du baust einfach so schnell eine so enge Beziehung zu den Tieren auf. Du hinterfragst dein eigenes Verhalten, deine Essgewohnheiten, alles Mögliche, worüber du dir sonst vielleicht keine Gedanken gemacht hast“, erzählt Julia. Irgendwann hätten sie sich gesagt: „Da muss was gemacht werden, und wir können was machen, also machen wir’s.“
Zunächst stand die Entscheidung an, in welche Richtung der Hof laufen sollte. „Wir sind grundsätzlich auf Nutztiere beziehungsweise Nager spezialisiert“, betont Andre. Für heimische Nutztiere seien die Vorgaben anders als für sogenannte „Exoten“. Dabei gelten sehr strenge Richtlinien, an die sich jeder Schweine- wie auch Geflügel- oder Rinderhalter halten müsse, und auch ein gemeinnütziger Verein wie der Lebenshof Aldenhoven. Das Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz des Kreises Düren achtet genau drauf, dass sämtliche Auflagen eingehalten werden. Das gilt für einen Verein in besonderem Maße.
Im Januar fingen daher die Cremers an, exakt nach den Vorgaben ein neues Schweinegehege komplett mit Doppelzaun, Unterwühlschutz und Hygieneschleuse anzulegen. Da beide gleichzeitig in Vollzeit arbeiten, fühlt sich Julia total gestresst. Zwar ist der Verein auf Unterstützung angewiesen. Allerdings sind die Helfer ebenfalls berufstätig. Also bleiben etliche Arbeiten an Julia und André hängen. „Das ist verdammt viel“, bekräftigt Julia Cremer. „Wir kommen regelmäßig an unsere Grenzen und gehen auch regelmäßig darüber hinaus. Aber es muss halt sein.“
Von 2020 an haben die beiden das Projekt zunächst privat vorangetrieben. Dann wurde ihnen geraten, es doch in einen Verein zu führen, um spendenfinanziert arbeiten zu können, damit sie nicht nur mit ihrem persönlichen Einkommen die Aufwendungen dafür bestreiten. Dies mache vieles einfacher, auch wenn der bürokratische Aufwand immens sei, erklärt Julia Cremer. „Man muss mit dem Finanzamt sprechen, man muss mit der Seuchenkasse sprechen. Wir mussten zum Notar gehen.“ Alles Schritte, die schier endlos lang gedauert hätten.
Der Verein und die Spenden kamen den beiden dennoch sehr gelegen. Es sei schon in Ordnung, zwei Wochen lang nur Dosensuppen essen, aber ab und zu fänden sie eine kulinarische Abwechslung auch ganz schön. „Deswegen haben wir uns entschieden, das Ganze als gemeinnützigen Verein zu deklarieren, damit wir einfach mit Einmalspenden oder Patenschaften die monatlichen Kosten abdecken können.“ Ebenfalls sei ein riesiger Vorteil, dass sie nun auch Praktikanten von Schulen aufnehmen könnten. Gerade arbeitete jemand ehrenamtlich mit. Es sei halt auch eine Begegnungsstätte.
So entstand der Old McDonald’s Lebenshof Verein, der auch als „Lebenshof Aldenhoven“ bekannt ist. Der Name „Old McDonald’s“ ist als Kinderlied übrigens noch ein Überbleibsel aus einer Zeit, als Erzieherin Julia aus dem Hof einen Bauernhof für Kinder machen wollte. Letztlich setzte sich aber die jetzige Funktion als Lebenshof durch. Die Unterstützenden sind in den meisten Fällen Privatleute, einfache Bürger von Anfang 20 bis um die 50 Jahre aus allen Gesellschaftsschichten, die in ihrem Rahmen Tierschutz betreiben möchten. Andres Kumpel und Mitmusiker bei Cupful Swill Merlin Knaps ist ebenfalls im Verein. Kein Wunder, dass bereits ein Benefiz-Konzert für den Hof in Planung ist.
Beim eigenen Hof haben sich Julia und Andre anfangs gedacht: wohin mit all dem Platz? „Damals war es riesig.“ Doch mittlerweile fänden sie zwei Hektar mehr schon schön. Denn derzeit sind dort 21 Tiere untergebracht, neben zwei Hunden drei Schweine, Schafe und Meerschweinchen. Die Zahl sei allerdings sehr variabel. Schließlich bekämen sie auch kranke Tiere, die nicht alle eine große Überlebenschance hätten. Tierschutz sei aber auch nicht für jeden etwas, unterstreicht Julia. „Man sieht viel Leid.“ Damit durchgehend konfrontiert zu werden, mache etwas mit der Psyche.
Daher wird im Verein kein Mitgliedsbeitrag erhoben. Vielmehr setzt der Verein auf Einmalspenden oder Patenschaften. Allerdings gibt es auch keine festen Preise für Patenschaften. „Jeder soll das geben, was er für richtig hält und was er bewerkstelligen kann.“ Selbst wenn es nur fünf Euro sein sollten. „Das sind fünf Euro, die uns helfen. Jeder Euro zählt.“ Jeder soll die Möglichkeit erhalten, als Tierschützer zu fungieren.
Aber auch so ist eine genaue Kalkulation unabdingbar. „Wir müssen mit den Spenden, die wir bekommen, monatlich haushalten.“ Zudem fließt noch etliches aus den Gehältern der beiden mit in das Projekt. „Dann erst ist so ein Projekt stemmbar.“ Daher müssen die beiden mit dem Material zurecht kommen, das ihnen zur Verfügung steht, um das Schweinegehege nach Vorschrift zu bauen „Man hat nicht die riesigen finanziellen Möglichkeiten, um in einen Baumarkt zu fahren und sich dort einzudecken.
Weiterhin sind also beide die tragenden Stützen sowohl von Verein als auch vom Hof. Grundsätzlich sei den beiden allerdings auch die Zusammenarbeit mit dem Dürener Veterinäramt extrem wichtig, das beispielsweise Tiere beschlagnahmt. „Das sind die Momente, in denen wir als Tierschützer ins Spiel kommen, die dann dabei helfen, die Tiere, die dort beschlagnahmt wurden, zu vermitteln.“ Oder diese ziehen gar zu ihnen auf den Lebenshof. „Unsere komplette Nagergruppe, also die Meerschweinchen, stammt aus einer Beschlagnahmung durch das Veterinäramt.“
Momentan ist aber das Kontingent restlos ausgeschöpft. Selbst wenn das Veterinäramt mit der Bitte an sie heranträte, noch ein paar Schafe aufzunehmen, müsste die Cremers dies leider ablehnen. Das wäre dann auch kein Tierschutz mehr, diese Wesen noch zusätzlich auf dem Hof unterzubringen. Im Normalfall würde es aber schon nur gemeinsam funktionieren: „Das Veterinäramt hat das Augenmerk auf uns, dass alles hier in Ordnung ist, aber man profitiert auch von einander.“ Generell sei die Zusammenarbeit mit dem Dürener Veterinäramt recht unkompliziert.
Es ist weit mehr als ein reines Hobby, eher schon eine Lebensaufgabe. „Tierschutz generell“, bestätigt Julia. „Man fängt ganz ganz klein an und ist dann ganz schnell in dieser Tierschutz-Bubble.“ Das gehe damit einher, dass das eigene Leben komplett geändert wird. „Bei jeder Entscheidung am Tag denkst du darüber nach, ob das mit Tierleid verbunden ist. Dann lass ich’s.“
Das Thema ende somit nicht in den eigenen vier Wänden im Lebenshof bei Nutztieren und Nagern, sondern erstrecke sich vielmehr weltweit als globales Anliegen. „Man kann nicht genug tun. Es gibt noch so viele Baustellen: von Labortieren bis beispielsweise Tiere, die im Meer leben und systematisch gejagt und getötet werden, und das ganze Ökosystem wird vernichtet.“ Das Thema „Tierschutz“ sei tagesfüllend.
Momentan befasst sich der Lebenshof damit, irgendwann einmal Kaninchen, Mäuse und Ratten aus dem Labor aufzunehmen. „Das ist ein Thema, mit dem ich mich momentan wahnsinnig intensiv beschäftige“, erzählt Julia Cremer. Neben der Massentierhaltung sei dies ihrer Meinung nach eines der krassesten Baustellen im Tierschutz.
Info und Spendenkonto unter www.lebenshof-aldenhoven.de