Und ja, es gab eine Initialzündung: Es war 1975 die Ausstellung von Horst Janssen in Mannheim. Der 17-jährige Dummer war fasziniert, nicht nur von der puren Zeichenkunst sondern auch von den Blättern als Gesamtkunstwerk. „Da war ein Brandloch von einer Kippe, das mit einbezogen wurde, etwas Abgerissenes, Papiere, die zum Teil vergilbt waren. Das war eine ganz andere Art Kunst als ich sie kannte“, schildert Dummer diese Begegnung. Kleine Zeilen waren den Zeichnungen beigegeben: An einer welken Blume stand „gegen die Zeit gezeichnet“, ein Selbstporträt war untertitelt „abgebrochen“, ein weiteres, dem das künstlerische Ringen anzulesen war: „Das muss doch hinzukriegen sein!“. Das alles war „so treffend und intensiv, dass ich als Jugendlicher dachte: ,Jaaaa, jaaa! Das muss doch hinzukriegen sein!’“ Bei der Erinnerung lacht Jens Dummer schallend. Seinen Lehrer, so sagt er, könne und wolle er nicht verleugnen.
Jens Dummer ist „das Tier“, „das Herz“, das sich erst öffnet, wenn es bricht“, „die Kreuze, die man schlägt“, – das Lachen, die Tränen, der Wunsch, „Titan“, „Odysseus“, „Judas“ und „Onan“ und „Der Finger in der Wunde“. 2001 hat Jens Dummer zum ersten Mal ein Buch gebunden mit dem Titel „Ecce Ego“. Dazu gestellt hat er stets handschrifliche Aphrorismen, oder vielleicht besser: kleine Gleichnisse, die stets ein „ich bin“ in sich tragen. Eben „Ecce Ego“. Wie beim Gezeichneten ist bei Jens Dummer auch in seinem Geschriebene stets der sehr amüsante Drang zur Ironie ablesbar. So wird es auch im Werkkatalog sein.
Auf den hinteren Seiten jedenfalls. Für den kunsthistorischen Beitrag zeichnet Dr. Dirk Tölke verantwortlich. Auf 80 Seiten zeichnet er buchstäblich das „Das ABC des Selbstporträts“ von „Abgründiges“ bis „Zukunft“ nach – jeweils versehen mit Seh-Beispielen. Er bewertet das Schaffen des Künstlers so: „Wer so viele Selbstporträts macht wie Jens Dummer, wenn auch nicht inflationär an einem Tag, der muss demnach ein Angeber sein, ein selbstverliebter Egomane, einer, der sich gern gezeichnet sieht, ein Narziss, der sich virtuos bespiegelt. Doch falsch, hier liegt keine erbärmliche Eitelkeit vor.“ Die Begründung liefert Tölke gleich mit, denn: „Wer so viele Selbstbildnisse macht, dem gehen die Selbstzweifel nicht aus, der prüft ich selbst im Konterfei, sucht die Gegenwart im Mimischen, Er setzt sich Lächerlichem und Grimmigem aus.“
Tatsächlich sei der große Zyklus eher „passiert“ als geplant gewesen, verrät der Künstler. Als Aufwärmübungen seien die Selbstporträts entstanden. In der morgendlichen Begegnung mit sich selbst stellte sich Jens Dummer am Anfang eines „Zeichnertages“ die Frage: „Hallo, wie geht es uns denn heute?“ Daraus entstand Selbstporträt um Selbstporträt. „Das ist so etwas wie Tagebuch schreiben: sich über sich selbst, oder das, was man erlebt hat oder einen gerade umtreibt, soweit möglich ins Klare zu kommen – oder es zumindest festzuhalten.“ Gleichzeitig entstehe dabei Nähe und Distanz zu sich selbst: „Ich habe die Distanz, weil ich mich im Spiegel sehe. Und die Nähe schaffe ich mir wieder übers Zeichnen.“ Insofern geben die Selbstporträts sehr private Einblicke in das Leben – wenn man sie denn zu lesen weiß. Denn das macht den Unterschied zur Schrift: Gesichtsausdrücke, so sagte Selbstporträt-Zeichner Dummer, seien statisch – also im Moment festgehalten – nicht eindeutig zu identifizieren. Schließlich sei die Gesichtsmuskulatur – ob es Entsetzen, Ekel oder Erstaunen ist – ganz schwer auseinanderzuhalten. „Bei allen dreien gehen die Augen auf, die Augenbrauen hoch, der Mund ist leicht geöffnet oder Mundwinkel hängen herunter – das ist im statischen Bild nie eindeutig.“
Oft höre er als Kommentar zu seinem Selbstporträts, dass er immer so ernst gucke. „Nein, ich gucke nicht ernst, ich gucke konzentriert! Alles, was zeichnerisch über diese Fixierung hinausgeht, da fängt eine gewisse Schauspielerei oder Theatralik an. Aber jede Theatralik, auch, wenn sie sehr gut gemacht ist, hat auch immer etwas lächerliches. Den Punkt zu finden zwischen Dramatik und Theatralik, Befinden und Übertreibung ist immer wieder reizvoll.“
In der Ausstellung im Schlosskeller, gut geschützt in Vitrinen, sind rund 100 der 2000 Selbstporträts von Jens Dummer zu sehen. Dass er nun „museumsreif“ ist, findet der Künstler gut. Irgendwann, spiele er als Individuum, als Name keine Rolle mehr. „Irgendwann sind es nur noch Bilder.“ Und was für ein Gefühl ist das, wenn der Mensch und Künstler schließlich hinter den Werken zurücktritt? „Ich finde das in Ordnung,“ sagt es, schmunzelt. So ist er eben.
Zur Ausstellungseröffnung. Kuratorenführungen (jeweils 11 Uhr) werden an drei Sonntagen angeboten, am 20. August, 17. September und 15. Oktober.