Wissenschaft und Wirtschaft sollen künftig gemeinsam etwas davon haben, dass dort ein neuer „Leuchtturm“ der Wissenschaft entsteht: Das Ernst-Ruska-Centrum 2.0. (ER-C 2.0) schafft mit High-Tech Elektronenmikroskopen die Voraussetzung für völlig neuartige Entwicklungen in der Medizin, der Pharmaindustrie, der Energieversorgung – um nur einige Beispiele zu nennen. Die politischen Erwartungen an die Forscher könnten kaum höher sein. Das hat seinen Grund: Der Bund habe Fördermittel in Höhe von rund 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, erklärte die Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Judith Pirscher, als sie in der noch etwas zugigen Halle im Rohbau ihre Ansprache hielt. Dort sollen künftig sechs neuartige High-Tech Elektronenmikroskope ihren Platz finden.
Allein der Bau ist mit 23 Millionen Euro veranschlagt und ist mit einer Fläche von fast 10.000 Quadratmetern fast doppelt so groß wie der bisherige. Der Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums, Wolfgang Marquardt, sieht in der neuen Forschungsinfrastruktur des ER-C 2.0 einen klaren Standortvorteil für das Rheinische Revier. Trotzdem sprach er in puncto Finanzierung von einem „Hürdenlauf“ und insgesamt von einem langen Weg, denn bereits 2016 sei der Antrag beim zuständigen Ministerium erfolgt. Dass es sich bei dem neuen Zentrum jedoch auch um einen Baustein im Strukturwandel handelt, hatte die politischen Akteure letztendlich überzeugt: Es gehe auch um Arbeitsplätze, Lebenserwartung, betonte die ebenfalls angereiste Ministerin für Kultur und Wissenschaft Nordrhein-Westfalens, Ina Brandes. Auch neue Firmen sollen sich im Rheinischen Revier dadurch ansiedeln.
Die Politik steckt also nicht nur viel Geld, sondern mindestens genauso viele Erwartungen in das auch international bedeutsame Projekt: Brandes, sieht in der neuen Forschungsinfrastruktur sogar die Voraussetzung geschaffen, durch Materialforschung in Jülich „die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern“. Das Projekt hat internationale Tragweite. „Vom vertieften Blick ins Kleinste versprechen wir uns große Entdeckungen in der Materialforschung und darüber hinaus“, ergänzte Pirscher, und meinte damit wohl den Blick aufs einzelne Atom, symbolisiert durch einen riesig großes rundes Fenster in der Gebäudefront.
Für das Laienverständnis erklärt Professor Joachim Mayer, im FZ zuständig für Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, das so: „Wenn Sie ein Lichtmikroskop benutzen, dann sehen sie sich zum Beispiel einen Zellschnitt an“. Das Transmissionselektronenmikroskop funktioniere nach dem gleichen Prinzip. Nur sei die Auflösung 10.000 Mal besser. Anders ausgedrückt: „Es liegen 10.000 Punkte zwischen den einzelnen Punkten, die ich mit dem Lichtmikroskop sehe. Damit sehen Sie bis auf das einzelne Atom“, die man sich Billard-Kugeln vorstellen solle, so Mayer. Das mache den großen Unterschied zu normalen Mikroskopen und ist damit ein regelrechter Quantensprung hin zur Erforschung neuer Materialen und Werkstoffe. Denn der Blick auf das einzelne Atom sei entscheidend.
Auf deutschem Boden erfunden, ging die neuartige Technologie zur Produktion dann jedoch ins Ausland. Weltweit stünden etwa 1.000 solcher Höchstleistungselektronenmikroskope, so Mayer, der ebenfalls an der RWTH Aachen tätig ist, neben der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf ein Kooperationspartner des ET-C 2.0. Jetzt kommen sechs davon nach Jülich, und damit nach Deutschland zurück, um den Forschungsstandort zu stärken. Die Politik behält dabei die Unternehmen im Blick. „Wir wollen das ET-C 2.0 als Nutzer-Zentrum einer breiten Community zur Verfügung stellen, erklärt Mayer. Seine erklärte Lieblingsanwendung der Zukunft für die neue Schlüsseltechnologie in der Werkstoffforschung: Die Lithium-Ionen-Batterie. Hierzu zeigt Mayer den Zuschauern, darunter auch Landrat Wolfgang Spelthan, einen Film, der optisch bis ins kleinste Atom einer Autobatterie zoomt. Die neue Forschung könne sowohl auf die Kapazität, als auch Haltbarkeit und Recycling einer solchen Batterie einzahlen, erklärt Mayer gegenüber dem HERZOG fasziniert. Auch sieht er Fortschritte in der Wasserstofftechnologie. „Da müssen wir Modellregion werden“, weiß er. Hier zahle die neue Forschungsinfrastruktur derzeit noch auf die Herstellung von Wasserstoff ein und helfe den Elektrolyseuren. Später gehe es auch um Fragen der Speicherung. Da gebe es bereits tolle Konzepte. „Aber man muss ihn erstmal machen“, erklärt er pragmatischer. Er skizziert aber bereits im Geiste ein Hybrid-Automodell, das neben einer Batterie auch Wasserstoff tanke. Das macht klar: Das ER-C 2.0 beflügelt nicht nur Politiker, sondern auch Forschergeist.
Im März nächsten Jahres sollen die ersten Geräte installiert werden. 65 Büroräume sollen entstehen und ein großer Seminarraum. Das ganze entsteht auf einem 150 Zentimeter dicken Fundament, das von der Umgebung entkoppelt werden muss, denn kleinste Erschütterungen können Messergebnisse verfälschen. „Wir können mit Sicherheit sagen, dass diese Entwicklung einzigartig sein wird“, freut sich Mayer schon jetzt und betont: „Herr Marquard, danke, dass sie uns immer gepushed haben, dass wir nie die Hoffnung verlieren.“