In Deutschland entsteht täglich tonnenweise Verpackungsmüll durch Take-away-Einwegverpackungen, so begründet die Bundesregierung die neue Regelung im Verpackungsgesetz. Da müssen jetzt alle mithelfen, diesen Müllberg zu reduzieren. Das geschieht allerdings scheinbar noch zögerlich und die Umsetzung erinnert ein wenig an die deutsche Grammatik: Es ist kompliziert und der Teufel steckt im Detail. Dieses Stimmungsbild bestätigen auch die befragen Unternehmer.
Neben der Kaffeemaschine der Bäckerei Moss steht neben den Plastikbechern jetzt ein graubrauner Mitnahmebecher. In weiß mit roter Aufschrift steht bei Nobis ein Becher mit dem Aufdruck der Eigenmarke. Andere Geschäfte haben die Mehrwegbecher und Schalen noch im Lager oder unter der Theke. Manche wissen noch nicht so genau, wie sie das Mehrwegsystem im Alltag praktisch handhaben sollen. Aushänge oder Zettel weisen die Kunden auf das jeweilige genutzte Mehrwegsystem hin – welches das ist, kann unterschiedlich sein. Manche motivierte Thekenkraft hat nach anfänglichem, hartnäckigen Nachfragen beim Kunden, ob ein Mehrwegbecher gewünscht ist, den Satz resigniert wieder aus der Kundenansprache gestrichen. Die meisten haben gesagt: „Vielleicht beim nächsten Mal“, weiß die Angestellte einer Bäckerei-Kette.
Den schleppenden Beginn bestätigen viele befragte Unternehmer, aber Akzeptanz ist dennoch da. Simon Claßen hat sich für das so genannte „Pool-Konzept“ der Firma Vytal entschieden, eines der beiden großen im Markt. Er habe selbst konkret nach einem Mehrwegsystem gesucht, erklärt der noch junge Inhaber der Metzgerei im Nordviertel. „Theoretisch ist es für unseren Betrieb noch gar nicht Pflicht“, weiß er. „Aber wir arbeiten auch sonst komplett nachhaltig.“ Das System arbeite mit einer App auf dem Handy. Zahlen muss er dem Mehrwegsystem-Anbieter pro ausgegebenen Mehrwegartikel einen Cent-Betrag. Der Metzgerei-Kunde selber zahle aber keine Pfandgebühr für das Mehrweggeschirr. Das sei ihm wichtig, so Claßen. Dafür muss der geliehende Behälter innerhalb von 14 Tagen zurückgegeben werden, sonst werden die Kosten dafür doch noch vom Kundenkonto abgebucht, erklärt er das System von Vytal. Der Barcode vom Behälter werde abgescannt und erscheine dann in einer App. „Das dauert nur etwa zwanzig Sekunden.“ Für ältere Kunden ohne Handy gebe es auch Karten mit Barcode. „Kunden, die in Köln oder Düsseldorf arbeiten, die kennen das System schon“, weiß Claßen von seiner Kundschaft. Die freuen sich, dass es das jetzt auch in Jülich gibt. Dass die Einführung eines solchen Systems in den Großstädten schon vor Jahren stattgefunden habe und dort gut etabliert sei, weiß auch Jan-Philipp Mohr von der AWA. In kleineren Städten kenne man das noch nicht, so der Abfallexperte des kommunalen Entsorgungsunternehmens, das auch zur Abfallvermeidung berät.
Melanie Breuer, Geschäftsführerin vom Eiscafé Panciera, betätigt das:“ Ich sehe hier in Jülich nicht so viele mit einem Kaffeebecher rumlaufen“, sagt sie. Die Menschen setzen sich lieber dafür ins Café rein. Sie hätten sich bei Panciera für das System von Recup entschieden. Der Kunde zahlt in diesem Fall eine Pfandgebühr: Pro Becher und pro Deckel machten das dann zwei Euro insgesamt an Leihgebühr für einen Kaffee, so Breuer – da entschieden sich viele doch für den Einwegbecher. Der Händler selber zahle bei Recup eine monatliche Grundgebühr. Diese habe in ihrem Fall für drei Monate 120 Euro betragen, bei 12 Monate Vertragsbindung. Die Mehrweg-Einführung sei insgesamt holprig gewesen, erinnert sich Breuer. Anfang November habe die Stadt Jülich einen Zettel unter der Tür durchgeschoben und sie habe sich dann sehr kurzfristig um das System gekümmert. Das Heißgetränke-Geschäft sei bei ihnen aber gering, und für Eiskugeln braucht sie keine Mehrwegbehälter anzubieten. Da gebe es auch noch keine passende Behältergröße für ein bis zwei Kugeln.
Fabian Zippel, Inhaber des Jülicher Landimbiss in Barmen, nutzt das gleiche System schon seit drei Jahren erfolgreich in seinem Biergarten, wo in der warmen Saison auch ein Imbisswagen stehe. Er war sozusagen ein „Überzeugungstäter“, wie Claßen. Mittlerweile biete er gar kein Einweg mehr an. Allerdings brächten die Kunden auch ihre eigenen Gefäße mit. Fünf Euro Pfand für jedes Mehrwegteil, das sei schon viel, weiß er. Da sei das Pfand manchmal höher als der Warenpreis. Nicht jeder, der am Barmener See Hunger verspüre, habe so viel Bargeld dabei, weiß er, doch es habe einen Lerneffekt gegeben. Am Anfang habe er viel „Gegenwind“ verspürt, sagt der junge Unternehmer. Aber die Resonanz sei durchweg positiv. Auch er setzt sich stark für Nachhaltigkeit auf allen Ebenen im Geschäft ein.
Auch Patrick Horbach, Inhaber von Charlie‘s Little Kitchen, hatte das System Recup und Rebowl von Anfang an abonniert, habe aber mittlerweile gewechselt, unter anderem um Kunden das Pfand zu ersparen. Er biete Mehrweggeschirr immer aktiv an. Aber die Haltung bei den Kunden sei: „Mach jetzt mal Einweg. Vielleicht später“, bestätigt er, was andere Gastronomen erleben. „Ich würde einfach sagen: Macht Mehrweg verbindlich und dann hat sich die Sache. So ist das nichts Halbes und nichts Ganzes“, wünscht er sich vom Gesetzgeber. Der Anteil des Mehrweg-Systems bei der Kundennutzung sei bestimmt noch unter 40 Prozent.
„Gut und sinnvoll“, finden alle befragten Unternehmer, die mit Essen und Trinken ihre Brötchen verdienen, dass es jetzt ein Mehrwegsystem gibt. Aber dass es kompliziert sei, das finden ebenfalls alle. Und das hat gleich mehrere Gründe.
Die neue Regelung im Verpackungsgesetz gilt nicht für jeden Betrieb gleichermaßen: Der Pizza-Lieferdienst in Jülich am Markt winkt ab: „Nein, sowas brauche ich nicht, Signora.“ Pizza-Kartons sind aus Pappe und dürfen, genauso wie Alufolie und Papiertüten, ohne Mehrwegalternative verwendet werden. Sie gehören nicht zu den Einwegkunststoffverpackungen, wo beispielsweise eine Beschichtung aus Kunststoff drauf ist. Verpackungen für Sandwiches sind aber beispielsweise schon wieder ausgenommen von der Mehrwegalternativpflicht, so lautet eine der Sonderregelungen, von denen es gleich mehrere gibt. Für Einwegbecher muss dagegen immer eine Mehrwegalternative angeboten werden, egal aus welchem Material: „Grundsätzlich steht hier nicht zur Debatte, das Kunststoffbecher nicht recycelt werden könnten, sondern das in der Praxis diese Becher in die Straßenpapierkörbe gelangen und diese zur Beseitigung zur Müllverbrennungsanlage geliefert werden“, so erklärt Abfallberaterin Nicole Lürken von der AWA. Laut Umweltbundesamt würden allein in Deutschland pro Jahr 2,8 Milliarden Einwegbecher benutzt.
Ausnahmeregelungen gibt es auch, welcher Betrieb teilnehmen muss und welcher nicht. Solche mit maximal fünf Beschäftigten beziehungsweise mit maximal 80 Quadratmetern Verkaufsfläche sind dazu nicht verpflichtet, es sei denn, das Geschäft gehört zu einer Kette. In dem Fall spielt die Verkaufsfläche keine Rolle und die Pflicht greift. Es gilt also, für die Gastro-Mitarbeiter, sich gut zu informieren – und natürlich auch ihre Kunden, die das neue System erst zögerlich beschnuppern. Die AWA hat einen praktischen Leitfaden herausgegeben, wo auch die Details erklärt sind.