Das nördliche Vorfeld der Zitadelle war viele Jahrhunderte lang unbebaut geblieben. So wollte man dem aus Norden anrückenden Feind keine Möglichkeit geben sich zu verstecken und das Schussfeld freihalten. Mit der Verbesserung der Reichweite von Geschützen wurde die Zitadelle aber auch zur gut sichtbaren Zielscheibe aus Richtung der Merscher Höhe. Die preußische Regierung versuchte diese Schwachstelle durch den Bau von drei sogenannten Lünetten zu verbessern (Abb. 1).
Diese Befestigungsanlagen sollten bei einem feindlichen Angriff aus Norden den Ansturm abfangen, außerdem konnten die Verteidiger von hier aus mit Geschützen in das Umland schießen. Die Lünette A lag westlich an der Broicher Landstraße auf der Höhe von Haus Heitzer. Es schloss sich das sogenannte „Trommelwäldchen“ an. In der Mitte, dort wo heute die Artilleriestraße einen Knick macht, befand sich die Lünette B. Sie war besonders stark mit gemauertem Graben, Wall und Zugbrücke befestigt und durch verdeckte Laufgräben mit der Zitadelle verbunden. In der nordöstlichen Ecke lag die Lünette C. Nach der Schleifung der Festungsanlagen der Zitadelle 1860 wurden die Lünetten B und C eingeebnet. Vorher hatte man an den beiden Lünetten noch Schießübungen durchgeführt (Abb. 2).
Der entstandene Freiplatz wurde zum Übungsplatz für die Artillerie, aber auch für Infanteriegruppen. Während des Ersten Weltkrieges wurden auf dem Platz das Ausheben von Schützengräben erprobt (Abb. 3–4). Die Lünette A blieb mit ihren Wällen und Gräben bestehen. Im angrenzenden Wäldchen übten Soldaten mit Trommeln und Signalhörnern. Auch die Militärkapelle führte hier Exerzierübungen durch. So entstand der Name Trommelwäldchen. Auf einem Luftbild aus dem Jahr 1932 ist die Lünette links oben gut zu erkennen (Abb. 5). Die heutige Artilleriestraße gab es schon zu dieser Zeit, war aber im Besitz des Militärs. Sie bildete eine Querverbindung zwischen der Düren–Heinsberger Bezirks- und der Jülich–Düsseldorfer Staatsstraße. Nach der Schleifung der Festung wurde die Artilleriestraße von der Stadt Jülich übernommen und als Allee mit Bäumen bepflanzt. Ihren offiziellen Namen erhielt die Artilleriestraße 1936.
Der Artilleriefahrplatz war zwar Militärgelände, aber er wurde hin und wieder auch zivil genutzt: Der Jülicher Rennverein veranstaltete ab 1884 sehr erfolgreich Renntage auf dem Artilleriefahrplatz (Abb. 8). Die jährlichen Rennen endeten 1910, weil sie nicht mehr kostendeckend durchgeführt werden konnten. Ein Jahr später, 1911, führte der Flieger Bruno Werntgen Schau- und Manöverflüge auf dem Artilleriefahrplatz vor. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Artilleriefahrplatz vom belgischen Militär beschlagnahmt. Als die Jülicher Fußballvereine nach Trainingsplätzen suchten wurde ihnen zunächst von der Besatzung die Nutzung des Artilleriefahrplatzes erlaubt. Die beiden Vereine waren dabei allerdings der Willkür der Besatzungstruppen ausgeliefert, die die Nutzung des Platzes immer wieder verbot. Deshalb wichen sie seit 1920 auf den „Mäehleberg“ (zwischen der heutigen Adolf-Fischer- und Promenadenstraße) aus.
Schon im Generalbebauungsplan von 1934 wurden vom Architekten René von Schöfer erste Konzepte zur Bebauung des Artilleriefahrplatzes entwickelt, aber durch den Krieg und die Zerstörung der Stadt nicht mehr umgesetzt. Unmittelbar nach dem Krieg standen am Wallgraben zunächst zahlreiche Notwohnungen, darunter auch „Nissenhütten“ (Abb. 10). Auch ein erster Nachkriegsfußballplatz wurde hier vom SC Jülich 1910 hergerichtet. Die Gräben der Lünette A wurden mit dem Trümmerschutt der Stadt gefüllt und das Gelände wurde planiert. An der Straße Am Wallgraben errichtete 1951–1952 die Rheinische Heimstätten GmbH eine sogenannte Bundesversuchssiedlung mit 42 „Volkswohnungen“ (Abb. 11). Es waren auch nach damaligem Standard ganz einfache Bauten, die allerdings dringend benötigt wurden, da Wohnraum knapp war. Erst vor wenigen Jahren wurden sie abgerissen. Als 1957 entschieden wurde, dass in Jülich eine Atomforschungsanlage entstehen sollte, bestand dringender Bedarf an neuen Baugebieten. Die Architekten Horst Kohl und Renate von Brause von der Technischen Hochschule in Aachen wurden beauftragt, ein neues Wohnviertel auf dem Artilleriefahrplatz zu entwerfen (Abb. 12). Der von den beiden entwickelte Plan betont in Anlehnung an die Entwürfe René von Schöfers in der Straßenführung die charakteristische Gestalt des Platzes. 1960 wurde der Bebauungsplan für den Artilleriefahrplatz vom Stadtrat beschlossen. In den darauffolgenden Jahren wurde der ehemalige Artilleriefahrplatz bebaut, der erste Abschnitt des Nordviertels war entstanden (Abb. 13–15).