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Echte Kerle

Schornsteinfeger vs. Fonds Manager

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Julius | Foto: HERZOG
Julius | Foto: HERZOG
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Der Sommer war gekommen und mit dem Juni auch endlich das schöne Wetter. Julius hatte es sich in seiner Dachwohnung unter dem weit geöffneten Fenster bequem gemacht und lauschte dem Radio, aus dem just „Bright June Afternoon“ von Roxette ertönte. Dieser Hit aus den Neunzigern erinnerte Julius an seine Jugend, die erste Liebe und jene Unbeschwertheit, die man nur verspürt, wenn man gerade seinen Schulabschluss gemacht hat und die Welt einem alle Möglichkeiten verspricht. „It never gets dark“, summte Julius mit, und eine leichte Melancholie überkam ihn bei der Erinnerung an all die unbeschwerten Juniabende auf dem Schlossplatz oder im Kuba, seine beiden bevorzugten Plätze in seiner geliebten Herzogstadt.

Inzwischen war Julius 32 Jahre alt und als echtes Julikind würde er in Kürze sogar 33 Lenze zählen. Ist es jetzt schon zu spät für die „Bright June Afternoons“? Wie alt war eigentlich Per Gessle von Roxette, als er das Lied geschrieben hat? 37!

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Und während Julius sich sinnloserweise einredete, noch mindestens vier „June Afternoons“ mit der Unbeschwertheit der Jugend erleben zu können, ehe er so alt sein würde wie Per Gessle von Roxette, sah er plötzlich einen Schornsteinfeger, der sich hoch oben auf dem Dach am Kamin zu schaffen machte.

„Ein wunderschöner Schornsteinfeger“, beurteilte Julius jenen schwarzen Mann hoch oben auf dem Dach, der sehr traditionell mit Zylinder und leuchtenden, messingfarbenen Knöpfen auf der Jacke bekleidet war. Doch wieso gibt es eigentlich Schornsteinfeger? Julius hatte heute frei und viel Zeit, sich allerlei Gedanken über das Leben zu machen. Nun ja, die Menschen haben ein Bedürfnis, nämlich das nach warmen Wohnräumen, heißem Wasser und gekochter Nahrung. Und weil das so ist, gibt es Schornsteine. Und weil Schonsteine manchmal verstopft sind, gibt es Schornsteinfeger. Eine ganz einfache Sache. Schornsteinfeger werden benötigt, um ein Bedürfnis der Menschen zu befriedigen. Und weil ein Schornsteinfeger überdies schwindelfrei und in der Lage sein muss, bei Wind und Wetter in großen Höhen zu arbeiten, ist er ein echter Kerl. Ein echter Glücksbringer also! Aber ich habe schon lange keine Schornsteinfeger mehr gesehen. Schon gar nicht so einen schönen mit Zylinder auf dem Kopf und leuchtenden, messingfarbenen Knöpfen, stellte Julius fest. Es gibt offenbar nicht mehr so viele schwarze Männer wie früher. Aber ist denn das Bedürfnis nach sauberen Schornsteinen nicht mehr da? Doch doch! Mal sehen, dachte Julius, welche Berufe gibt es noch, die ein menschliches Bedürfnis befriedigen? Da gibt es zum Beispiel Schuster, Metzger, Bäcker und so weiter. Aber von denen gibt’s ja auch immer weniger, stellte Julius erschreckt fest. Ihm wurde warm unter seinem Dachfenster, und nachdem ihm der Schornsteinfeger freundlich zugezwinkert hatte, beschloss Julius, für einen Moment sein Plätzchen zu verlassen, um sich im Bad ein wenig frisch zu machen. Nach kleiner
Toilette fiel ihm ein Werbespruch auf, mit dem sein Deospray beschriftet war. „For real men only!“, so der Slogan, der Männer zum Kauf dieser Marke anregen sollte. Für echte Männer also, murmelte Julius widerwillig, der sich auch nach Gebrauch des Deos kein bisschen männlicher fühlte. Wenn damit gemeint ist, dass man ein echter Kerl sein muss, um dieses Deo kaufen zu können, etwa so ein echter Kerl wie der Schornsteinfeger da draußen, dann hätte ich ein anderes Deo kaufen sollen. Ich jedenfalls wage mich nicht aufs Dach, um den Schornstein zu fegen. Für den Schornsteinfeger wäre es also das richtige Deodorant. Das ist ein echter Kerl.

Julius setzte sich wieder auf sein warmes Plätzchen unter dem Dachfenster und starrte in den azurblauen Himmel. Aber der Gedanke von eben ließ ihn nicht mehr los. Denn der Schornsteinfeger würde wahrscheinlich ein ganz anderes
Antitranspirant benutzen als das mit der Aufschrift „For real men only!“, und trotzdem war er doch ein echter Mann, wie man sich ihn vorstellt. „Kernfest und auf die Dauer“ fiel Julius die Umschreibung Theodor Storms plötzlich ein. Wer legt denn eigentlich fest, wer ein echter Kerl ist und wer nicht? Die Wirtschaft vielleicht? Mal sehen, dachte Julius, früher gab es Berufe aus dem Grund, da menschliche Bedürfnisse befriedigt werden mussten. Aber von denen gibt’s immer weniger. Und immer mehr Berufe gibt es, da war sich Julius sicher, die nicht dazu da sind, menschliche Bedürfnisse zu stillen, sondern um die Effektivität von Unternehmen und deren Gewinne zu erhöhen, Berufe wie Controller, Tax Consultant, Fondsmanager oder Estate Agents.

Die Welt hat sich also umgedreht verändert, schlussfolgerte der pfiffige Julius. Es ist also nicht mehr so, dass kleine Handwerksbetriebe oder Händler die Bedürfnisse der Menschen bedienen. Nein, wir sind es in den Zeiten des maßlosen Überflusses, die dazu da sind, die Bedürfnisse von Großkonzernen zu bedienen. Sozusagen als eine Art Konsumvieh werden wir gehalten, das einzig die Funktion hat, Geld zu verdienen und Produkte zu kaufen. Dieser Gedanke echauffierte Julius immer mehr. Ja, genau so ist es! Ein harter Kerl ist also nicht mehr derjenige, der schwindelfrei bei Wind und Wetter körperliche Arbeit in großer Höhe verrichten kann, und damit etwas Sinnvolles für die Menschheit tut. Nein, derjenige, der ein „For real men only“ – Deo kauft, ist jetzt der harte Kerl, weil er die Bedürfnisse eines Großkonzerns nach ständigem Absatz erfüllt. Verdrehte Welt, dachte Julius, und es hielt ihn nicht mehr auf seinem Platz unter dem Dachfenster. Er musste hinaus in den Park, um an einem weiteren jugendlichen „June Afternoon“ diesen Gedanken mit anderen Menschen diskutieren. Und ob er nun Recht haben würde oder nicht, Julius war plötzlich klar, dass es für ihn so lange „June Afternoons“ geben würde, wie er glaubte, etwas in der Welt zum Besseren bewegen zu können. Der nette Schornsteinfeger war längst fort – wie so viele Metzger, Bäcker, Schuster, Schneider, Hutmacher, Schreiner, Buchbinder oder Schmiede.


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