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Fräulein Schick und der Boden unter den Füßen

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Coco | Foto: HZG
Coco | Foto: HZG
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Schick, diese endlosen Beine auf dem Barhocker unter dem schrägem Zylinder, schick, der Platin- Wuschelkopf im Frottee-Morgenmantel, die gezuckerten Kussmündchen werfend, schick die über mit Reifen behängten Arme im rosafarbenen Bustier, am Heißluftgebläse der öffentlichen Dusche die rasierten Achselhöhlen trocknend. Schick mit einer Prise Vulgärem. Marlene, Marylin, Madonna, Stationen einer Reise von nicht einmal hundert Jahren. Das erste Bild ist eine Ikone, der blaue Engel, auch Marylin kennt man, das letzte Bild ist schon eher etwas für Spezialisten und eben keine Madonna. Sie nennt sich nur so.

Schönheit ist nicht, sie wird gemacht. Ihr Anblick wird von Innen und Außen über die Netzhaut gespielt, ein Spiel zwischen Sender und Empfänger, ohne dass man wüsste, wer nun gerade das eine oder das andere ist, wer da gerade formt und wer Objekt ist. Der Stoff aus dem die Träume sind. Die kuhäugige Ishtar war das Ideal der mesopotamischen Viehzüchter- und Agrarkultur, die frisch frisierte Mittvierzigerin im offenen Cabrio ist das Idol der Postmoderne.

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Amazone, Mutter, Hetäre, Künstlerin, auch die weibliche Archetypen wirken in das Abbild mit hinein. Frauen wie Liza Minelli oder Barbara Streisand sind nicht im eigentlichen Sinne schön – was immer das auch sein mag – aber sie haben das gewisse Etwas, ein Charisma, das sich mit dem Äußerlichen mischt. Die Frau im Cabrio verkörpert Jugendlichkeit, Sportlichkeit, Erfolg, aber am coolsten ist sie mit einem Kindersitz auf der Rückbank. Ein Amalgam von akademischer Mutter und taffer Hetäre, ein börsennotierter Elitepartner mit etwas zu scharf geschnittenen Mundwinkeln.

Coco Sing | Foto: HZG
Coco Sing | Foto: HZG

Schönheit ist nicht gleich Erotik, auch wenn sie als Grundierung immer mitschwingt und oft führt der Laden gar nicht, was im Schaufenster liegt, das wusste schon Tucholsky. In der Auslage verschmelzen Wunschbilder von Familie und Karriere und Erotik zu einem Fetisch und die darin enthaltenen Anteile können recht unterschiedlich ausfallen, doch der Schick verrät, auf welchem Niveau das geschieht. Der Schick ist wie ein Duft und die Rezepturen und die Ingredienzien dazu ruhen in Seelentiefen und manchmal auch  in Panzerschränken.

Fräulein Schick, von Männern hat sie nicht allzu viel gehalten und eine gewisse statistische Relevanz darf man ihren Aussagen nun einmal nicht absprechen: sie hat in den zwei Hotelzimmern, die sie die längste Zeit ihres Lebens bewohnte, stets großzügig und abwechslungsreich gestalteten Herrenbesuch empfangen. Das mit dem Hotelzimmer ist gewollt. Das Schloss an der Côte d´ Azur wäre finanziell kein Problem gewesen, aber sie hat sich bei allem, was sie tat, immer darauf verstanden, nur wirklich Unverzichtbares in Szene zu setzen und auf Ballast jeder Art zu verzichten. Das machte ihren Stil aus.

Außerdem war sie es so gewohnt, als uneheliches Kind einer Wäscherin und eines Hausierers und mit ihrer Kindheit im Kloster von Aubazine. Dorthin waren Gabrielle und ihre Schwester nach dem frühen Tod der Mutter vom Vater auf Nimmerwiedersehen abgegeben worden, das hat keinen Sinn für Nestbau aufkommen lassen. Die kalten Steingewölbe dieses Schweigeortes stehen für das Parfum von Verlassenheit, das ihr nach außen turbulentes Treiben für uns Behauste an sich hat. Doch jede Kindheit liefert Motive und Muster und so findet sie im Maßwerk der Abteifenster das arabeske Logo ihres Parfums oder in den Intarsien der Böden die Verläufe ihrer späteren Stickereien und das ewige, strenge Nähen und Sticken bei den Schwestern haben jene Gewissenhaftigkeit und Perfektion eingeprägt, die sich schon in ihrem ersten Schneideratelier finden lassen. Die malvenfarbenen Jungmädchenträume waren im Kampf ums Dasein schon im Keim erstickt worden. Aber sie war nicht untergegangen. Sie hatte sich durchgekämpft, sie hatte die Brandung durchschwommen, bis sie den Boden unter den Füßen spürte. Sie hat ihn dann nie wieder verlassen. Eine ihrer zentralen Maximen lautet daher: „Heiraten Sie niemals einen Mann, der eine Börse fürs Kleingeld besitzt!“ Damit wäre ich schon mal aus dem Spiel gewesen, dabei hatte sie es durchaus mit Künstlern, aber aus einer anderen Liga, Strawinski, Picasso…

Anfangs hat sie abends im Variete´  gesungen, in der Rotonde und dem Grand Café, wo sie vor allem zwei Lieder vortrug: „Qui qu’a vu Coco?“ und „Ko-Ko-Ri-Ko“, weswegen sie schon rasch nicht mehr Gabrielle gerufen wurde und bald nannte sie sich mit ihrem sicheren Gespür für Wirkung auch selbst so. Ihre Düfte gehen um die Welt, ebenso das „kleine Schwarze“. Aber sie gab ihren Geschlechtsgenossinnen nicht nur die Accessoires, auch ihre Maximen waren nicht ohne. „Die meisten Frauen wählen ihr Nachthemd mit mehr Verstand als ihren Mann.“ „Ich bereue nichts im Leben – außer dem, was ich nicht getan habe.“ „Ein Mann kann anziehen, was er will, er bleibt doch nur ein Accessoire der Frau.“ Und so weiter. Sie selbst war nicht eigentlich schön, aber sie wurde mit den Jahren immer attraktiver, ein sicheres Zeichen dafür, dass diese Anziehung aus dem Geistigen kam. Wie sagte sie doch: „Eine Frau kann mit 19 entzückend, mit 29 hinreißend sein, aber erst mit 39 ist sie absolut unwiderstehlich. Und älter als 39 wird keine Frau, die einmal unwiderstehlich war!“ und als Fazit: „Alter schützt vor Liebe nicht, aber Liebe vor dem Altern.“ Dem ließe sich noch manche Blüte hinzufügen. Wenn man sich aus dem  Armenhaus an die Weltspitze hochgekämpft hat, dann hat man mit dem eigenen Profil eben kein Problem, auch wenn ihre Nase nach dem gängigen Geschmack vielleicht etwas zu markant war.

Churchill schätze an ihr die Eigenschaft, sich vor aller Augen von der Servierplatte das fetteste Stück Lachs zu angeln, sie war überhaupt nicht handzahm. Wen wundert es, dass sie es war, die das Korsett abschaffte? Für den, der es noch immer nicht weiß, wer sie ist, dem verrate ich den Namen des Parfums, mit dem sie bis heute weltbekannt ist: Chanel No. 5.

  

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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