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Fritten, Kirschbier & Leopardenhemden

Knall, Knaller, am Knallsten

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Knall, Knaller, am Knallsten | Grafik: Sophie Dohmen
Knall, Knaller, am Knallsten | Grafik: Sophie Dohmen
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Ein Freund, den ich, sollte ich ihm für längere Zeit mal nicht begegnet sein, spätestens zu Silvester auf dem Parkplatz des „real“ treffe, sagte mir beim Einladen: „Was ihr Deutschen zu Silvester an Raketen und Böllern in die Luft jagt, das tun wir Belgier uns an Essen und Trinken rein. Aber egal, Hauptsache es knallt…“.

Menschen sind Reizwesen, wir brauchen Input, um nicht zusammenzufallen, physisch wie mental. Dass es uns, im Gegensatz zu den Belgiern mit ihrem Gaumen und anderen Lust gesteuerten Körperteilen, mehr zu bunten und lauten Phantasmagorien drängte, ist vielleicht etwas plakativ, aber woran denkt man bei Belgien? An Bier, Fritten, Manneken Pis. Bei Deutschland doch eher an Mercedes, Borussia, Goethe und den ganzen Hype. Schon bei den sich ähnelnden Landesfarben ruht bei den Belgiern das Schwarz, Gold, Rot erdig senkrecht in sich, während unsere Farben sich Schwarz, Rot, Gold aufeinander stapeln. Das drängt und steigt auf und gibt keine Ruhe. Legen Sie die Flaggen einmal nebeneinander…

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Manneken Pis und Faust, das ist schon deutlich. Dem Belgier ist schon allein der Stoffwechsel Entertainment. Man strullt fröhlich von oben herab und hat vermutlich auch noch Spaß am Luftholen. Im Faustischen ist das streng zu trennen, Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps und man pendelt zwischen dem Burnout angestrengten Wollens und dem Boreout des gelangweilten am Ziel Seins.

Ich bin selbst zwar eher ein Wein- als Biertrinker, aber ich versäume es nie in Belgien in den Supermarkt zu gehen, um die Regalfluchten des Bierangebots anzustaunen. Als Augenmensch muss man das gesehen haben: in buntes Stanniol gehüllte Kronkorken, porzellanene Schnappverschlüsse, Korkverschlüsse, nach Champagnerart mit Draht niedergehalten, alles, um diese aufschäumenden Süffigkeiten bis zum erlösenden Knall in der Flasche zu halten. Trappisten, Kirschbier, Leffe… Brecht soll beim Anblick einer französischen Käsetheke gesagt haben, so etwas nenne er Kultur.

Oder die Pommes frites, hierzulande das Menetekel des Fastfood schlechthin, waren ursprünglich frittierte Fische. Doch als die Maas einmal zum Angeln zu hart zugefroren war, schnitten die Belgier stattdessen Kartoffeln in Fischform, um sie dann wie gewohnt zu frittieren – ein kreatives Ritual dessen, was wir heute Slowfood nennen.

Ich weiß nicht, ob Belgien z.Zt. erwähnenswerte Kunst hervorbringt, aber es hat unglaublich hässliche, mit Schlaglöchern übersäte Nationalstraßen. Darauf bin unterwegs zu belgischen Kollegen und habe mich in einer dieser nicht enden wollenden Kleinstädte, die aussehen, als hätte ein Laster seine Ladung verloren, verfahren. Ich gehe in einen Bikerclub, um nach dem Weg zu fragen und zwei mitfünfziger Damen in Nyltest Leopardenhemden stehen zwischen Harley Tanks, US Nummernschildern und riesigen Plastikkakteen rauchend hinter dem Tresen. Vergleichbares gab es bei uns auf der Reeperbahn zu der Zeit, als das Stückgut noch nicht von Containern verdrängt worden war.

Die Damen ziehen mir einen Plan aus dem Netz, drucken ihn aus und zeichnen die Strecke ein. Mit Navi wäre mir das nicht passiert, deshalb habe ich auch keins. Das Kirschbier schmeckt wie Hello Kitty Brause und nötigt mich in leichtem Dämmerzustand auf die Toilette. Auf dem Boden der sanft gelb gekachelten Halle steht ein mir bis an die Schulter reichender, schwarz lackierter Schiffsanker und hoch über der Pinkelrinne hängt, so politisch unkorrekt wie irgend möglich, das Foto einer jungen Frau. Sie blickt aus dunklen Augen und weißem Hemd an mir vorbei: Anne Frank. Das Plakat einer Ausstellung zu ihrem Andenken, die niederländische Grenze ist unweit.

Zugegeben, ich liebe Videoclips, optisches Fastfood und visuelle Gemeinplätze, aber die beiden Damen trugen wirklich Netzstrümpfe und mein belgischer Freund fährt tatsächlich einen Citroën HY. Sie wissen schon, dieser Wellblechlaster, der aussieht wie eine abgesägte Junkers 52, der im Kino immer auftaucht, wenn Kleinkriminelle Diebesgut von Schrottplätzen abtransportieren. Belgien ist jung, Herzogtum Burgund, spanische Niederlande, so und anders hat das Terrain schon geheißen. Vielleicht ist es deshalb von nationalen Traumata unbelasteter, obwohl es vielen Armeen als Schlachtfeld gedient hat, Waterloo, Ypern… Es ist der Schrottplatz zwischen Deutschland und Frankreich. Es zerfällt genüsslich so vor sich hin und da ich einen Knall habe, liebe ich es mehr als die französischen Landstriche. Kanalküste, Elsass und Burgund sind ja schon ein Knaller, aber Belgien ist für mich am Knallsten und das, was dem Asthmatiker sein Cortisonspray ist.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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