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Flipper und der Charme

Das ist der Rhythmus, wo jeder mit muss (Udo Lindenberg)

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Charme | Illustration: Sophie Dohmen
Charme | Illustration: Sophie Dohmen
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Charme und Charisma wurzeln beide im griechischen Wort „char“, was so viel wie Geschenk bedeutet. Das leuchtet ein, man hat das einfach oder eben nicht. Das Charisma ist aber eher an Inhalte gebunden, bin ich anderer Meinung, so wird es mich kaum erreichen. Der Charme aber ist ein Verzaubern und auf das Fühlen angelegt und je nach dem kann man dann Harald Schmidt, Helge Schneider oder Günther Jauch als charmant empfinden. John Wayne, Jean-Paul Belmondo und Lino Ventura können ihn ausstrahlen, Eddie Arent und Klaus Kinski eher nicht, aber wer weiß, Campino und Bela B ohne Frage und was sich über den Charme der Frauen sagen ließe, dafür reicht der Platz im Heft nicht aus.

Charme bezaubert, er ist ein Guthaben, das keine Neider sondern Freunde schafft, ebenso wenig möchte man einer Blume ihr Blühen neiden. Er soll sogar über den Stress erhaben sein und so erzählt man von Johannes Bückler, er habe an einem Montag in Mainz das Schafott bestiegen, sich zur Menge gedreht und von oben herab verkündet: „Die Woche fängt ja gut an…“

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Dass dieser cineastisch äußerst wirkungsvolle Auftritt im Spielfilm von Helmut Käutner fehlt, hat seine Gründe: Curd Jürgens als Schinderhannes gibt das nicht her. Dieses Polternde, Laute und Eitle des jovialen Typs hat nichts von der Unberührbarkeit des Charmes, die aus der Legende spricht. Charme ist eben nicht diese Schulter klopfende Schaumschlägerei. Er verströmt eher das flüchtige Fluidum des Understatements: man hat es nicht nötig. Er ist eine Energie, die sich vermehrt, indem sie sich verschenkt, ist kommunikativ und braucht kein Publikum. Er ist vor allem ein Sein ohne Reibungsverluste und das Gegenteil von Erfahrung: ein naives in sich selbst und der Welt Aufgehoben sein. Deshalb finden wir ihn am ehesten bei den Kindern.

Jedes Kind ist der natürliche Mittelpunkt der Welt, die Erde dreht sich um es und es glaubt fest an den Weihnachtsmann. Dieses worin auch immer Aufgehoben sein  ist entwaffnend. Für das Kind ist alles ein Du. Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine und der Herr Präsident sind ein Du, der liebe Gott und alle Gespenster auch. Seine Absichtslosigkeit und Naivität machen es unbekümmert, denn was keine Absichten hat, das braucht sich auch nicht zu kümmern.

So kann Picasso in seiner Radierung „Minotauromachie“ das Kind mit einer Kerze in der Hand dem Herrn der Unterwelt entgegenstellen, ohne dass dies bei uns ein breites Grinsen hervorruft. Man ist bereit, das zu glauben, dass dieses Monstrum wie gebannt verharrt: hier gebietet ein höherer Rang Einhalt. Im Bild „Mädchen mit Taube“, lässt Picassos das Kind ein gefiedertes Bündel Leben an seine Brust drücken und das Tier ruht unbeirrbar und weiß sich geborgen. Etwas Vergleichbares nur mit umgekehrten Vorzeichen soll bei der Delphin Therapie geschehen. Jeder, der in etwa von meinem Jahrgang ist, kennt den Delphin Flipper und wie er unverwüstlich guter Laune und diesem ständigen Delphingrinsen im warmen Wasser herumplanscht. Aber diese Meeressäuger sollen beschädigten menschlichen Babys tatsächlich etwas zu geben zu haben, was diesen Neugeborenen kein menschlicher Therapeut zu geben vermag. Vermutlich ist es ein Anthropomorphisieren, diesen Tieren Charme zu zuschreiben, aber mal ganz ehrlich: Flipper hat Charme und er bügelte damit die ganze Serie aus.

Auch „der kleine Lord“ Cedric hat Charme und er verabreicht seinem Großvater damit eine wahre Delphinkur, denn Charme ist eine endogene, sich aus sich selbst nährende Größe und die Anmut wäre seine Entsprechung im physischen Bereich. Und wie der Charme zeigt sich die Anmut bei jedem Anlass, man kann einfach nicht anders, auch wenn die Delphine natürlich vom Auftrieb des warmen Wassers profitieren.

Die Beobachtung, dass der Betrachter stets mit dem Gegenstand der Betrachtung verbunden ist und ihn formt und dass es somit keine isolierte Position gibt, brachte Heisenberg vor nahezu hundert Jahren als „Unschärferelation“ den Nobelpreis für Physik. In unser Alltagsverhalten hat sich diese Erkenntnis noch nicht so ganz integriert. Wir glauben uns weiter getrennt und schließen doch  lieber eine Rechtsschutz-Versicherung ab. Aber das ist nur die Strafe für unseren Mangel an Charme und das Fehlen von Lebensanmut. Reiz, Zauber, Flair und all diese anderen so wirkungsvollen wie ungreifbaren Eigenschaften, mit denen das Wörterbuch der Synonyme den Charme umschreibt, fehlen. In Flirtschulen ist das nicht zu erlernen und auch das Geraderücken von Defiziten in einer Therapie kann das nicht herstellen. Charme ist ein Talent, eine Begünstigung der Natur und damit ziemlich ungerecht und wer ihn hat, das zeigt sich schon daran, wie sich der Fuß auf das Pflaster setzt: es ist ein Groove, ein Rhythmus, wo jeder mit muss. Charme muss nicht wollen, er kann es einfach und da er immer außer Konkurrenz läuft, erzeugt er auch keine.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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