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Ausweitung der Kampfzone

oder Flucht und Fluch der Junioren

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Die Junioren die ausbrachen | Grafik: Sebastian von Wrede
Der Junior der sich aus dem Staub macht | Grafik: Sebastian von Wrede
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Hans Holbein, der Jüngere, tat das, womit ein Junior immer gut beraten ist: er machte sich aus dem Staub. Von Augsburg nach Basel, von Basel nach London. Auf dem Junior lastet ja stets das ganze Wunschprogramm der Sippe, und damit erst gar keine Unklarheiten auftreten,  bekommt er den Namen des Vaters, kann dessen Briefköpfe und Stempel übernehmen. Der Benjamin hat es da leichter. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn darf er nicht nur in die Welt ziehen und sein Erbe verprassen, sondern er wird bei der Rückkehr sogar wieder  in die Arme geschlossen. Diese Geschichte irritiert. Sie stört das Gerechtigkeitsgefühl, oder sie hat einen Hintersinn. Die Natur hat sich bei der Genetik viel einfallen lassen, Zweigeschlechtlichkeit mit allem Drum und Dran, Mutationen. Doch der Vater will mit dem Namen natürlich auch Weltanschauung, Handwerk oder Geschäft weitergeben, da hätten wir auch bei der Zellteilung bleiben können. Dazu braucht es auch keinen eigenen Namen, es ist halt der Hans Junior, um den sich die Ahnenkette verlängert, eine Transfusion in eine Mumie.

Nun ist jede Kette bekanntlich nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Einer meiner Schulfreunde hatte auch so eine väterliche Klitsche am Bein. Also stiegen wir nach einer durchtanzten Walpurgisnacht am 1. Mai 1968 die Tritteisen des Schlots der väterlichen Fabrik hinauf und hissten dort oben in einem symbolischen Akt die rote Fahne. Wir sozialisierten das drohende Erbe mit einem roten Sweat-Shirt, das wir mit den Ärmeln an den Blitzableiter knoteten. Es flatterte nicht ganz so wie gewünscht, aber der Junior wurde trotzdem kein Kleineisenfabrikant, sondern studierte in Berlin, schmiss das Studium, engagierte sich in einem der ersten Kinderläden und ging dann irgendwie verschütt.

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Holbein zieht es nach Basel, eine Metropole des aufstrebenden Druckereigewerbes, schneidet den Holzschnittzyklus zu Erasmus‘ Lob der Torheit und porträtiert den Philosophen, der als unehelicher Sohn eines Priesters und seiner Haushälterin das genaue Gegenteil eines Juniors war. Er durfte den Namen des Vaters nicht tragen. Aber dafür brachte er die Reformation auf den Weg und ebnete jenem jungen Stand den Weg, dessen Bilder wir von Holbein kennen: dem Bürgertum. Darstellungen, wie sie in diesem Realismus bisher nie gemalt wurden. Der Kaufmann Georg Gisze sitzt in seinem Kontor, eine Zelle ganz in der Tradition der Heiligen, aber die Utensilien der Buße, der Totenkopf und die Geißel fehlen. Stattdessen ein dicht gewebter Teppich auf dem Tisch, ein Glasflakon mit Bartnelken und die halb geöffnete Geldschatulle darauf. Die Zettel an den Wänden weisen aus dem Hier und Jetzt auf Verpflichtungen und Termine. Eine säkulare Ikone. Diese neue Klasse denkt  dynastisch, der Name wird ein Label, führt Stammbäume und Wappen, die Fugger und Welser, selbst der Kaiser nimmt bei ihnen Kredit, da werden einige Junioren verschlissen.

Der Rat von Basel versucht Holbein durch ein hohes Gehalt zu halten, doch der geht weiter nach London und dort an den Hof  Heinrich VIII. Der Regent soll geradezu einen Narren an ihm gefressen haben und als sich ein Lord über Holbein beschwert, soll der  Monarch entgegnet haben: ich kann aus sieben Bauern im Nu sieben Lords machen, aber aus sieben Lords nicht einen Holbein. Holbein malte uns diese den Rahmen sprengende Figur, angewinkelte Ellbogen mit aufgestemmten Fäusten, ein massiger Schädel mit rotem Bart und winzig kleinen Ohren. In London stirbt Hans Holbein 46-jährig an der Pest, es sterben 70-Tausend und Heinrich VIII bleiben noch von 6 Gattinnen zwei ohne Kopf, ein Sohn und zwei Töchter. Der Sohn stirbt, Maria übernimmt das Zepter. Sie schlägt nach dem Vater, Bloody Mary wird sie genannt. Nach deren Tod tritt die Tochter Elisabeth an und nach ihr wird dann die ganze Epoche benannt, im Stammbaum der Tudors ragt sie deutlich hervor, nur ist sie kein Junior.

Es gibt keine Juniorinnen, die Frauen bekommen den Namen des Gatten, Elisabeth bleibt unverheiratet, the virgin Queen.

Doch auf weiblicher Seite wird aufgeholt und spätestens seit der Gräfin d´Agault wird dort Wert auf den eigenen Namen gelegt, am besten macht man sich einen. Die Gräfin nannte sich also George Sand, trug maßgeschneiderte Herrenanzüge, schrieb Romane, rauchte Zigarren und unter ihren zahlreichen Juniorliebhabern waren so illustre wie de Musset und Chopin. Jugendliche Auffrischungen stehen also auch weiter hoch im Kurs, auch wenn die Gründe jetzt andere sind. Goethe machte seinen letzten Anlauf mit 70, als er sich in die 20-jährige Ulrike v. Levetzow verguckte. Doch diese war sich als Frischzellenkur für alternde Olympier zu schade und wurde lieber Stiftsfräulein. Es wurde also nichts daraus, von den Marienbader Elegien einmal abgesehen. Nicht jeden Stammbaum schmücken Johannistriebe, doch da in der Kunst die Kenntnisse des Alters wie auch das Fühlen der Jugend förderlich sind, hat das Bemühen um den Erhalt des Jungseins in dieser Branche sowohl Gründe als auch Tradition. Und seitdem nach Josef Beuys ohnehin jeder Mensch ein Künstler ist, breitet sich das Umtriebige von Senioren mittlerweile Viagra gestützt auch in breiteren Schichten aus. Künstler sind halt nur Vorreiter.

Kunst kommt von können, nicht von wollen und so hat dieser Reigen nicht selten die Anmut von Wachsfiguren im Kabinett der Madame Tussaud. Johannes Heesters heimst als Grandseigneur sowohl den Lorbeer als auch die Lenze ein und lässt sich bis zuletzt von der Ehefrau mit Enkelinnenbonus auf die Bühne hieven. Dass er schließlich mit 108 Jahren am Heiligenabend zu sterben wusste, das wäre auch als ein PR Gag nicht zu toppen gewesen wäre. Aber wie schafft der professionelle Junior 108 Jahre? Vielleicht so wie der andere unsterbliche Grandseigneur, der Graf Dracula, der auch stets wie aus dem Ei gepellt sich ständig verjüngend an die holden Hälse wirft, um sich Lebenskraft daraus zu saugen?

Doch ob Jungfrauen dem Drachen oder Erstgeborene dem Jahwe geopfert werden sollen, die Junioren scheren in eigene Lebensentwürfe aus und der Dichter Fernando Pessoa gab uns im Vers das Motto vor: Ich bin ein Flüchtling. Mein Leben begann, da schloss man mich ein. Ich aber entrann.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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