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Der Jülicher Schlachthof

„Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis“

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Alter Schlachthof Jülich | Foto: Guido von Büren
Alter Schlachthof Jülich | Foto: Guido von Büren
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Im Jahr 2004 verschwanden dann auch die letzten baulichen Spuren, nachdem er schon einige Jahre nicht mehr in Betrieb war: der ehemalige städtische Schlachthof an der Aachener Straße wurde abgerissen. Damit verlor die Stadt ein markantes Bauwerk des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das zwar im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen, aber schon 1946 wieder genutzt worden war. Einhundert Jahre nachdem man den Schlachthof gebaut und in Betrieb genommen hatte, hatten sich die Rahmenbedingungen derart geändert, dass ein Fortführung nicht mehr möglich war.

Die Anfänge des städtischen Schlachthofes gehen auf die frühen 1890er Jahre zurück. Jülich gehörte zum Königreich Preußen, das wiederum Teil des deutschen Kaiserreiches war. Bereits 1868 war in Preußen ein Gesetz erlassen worden, das öffentliche Schlachthäuser vorschrieb. Damit wollte man erreichen, dass Hygienevorschriften befolgt wurden und das Fleisch vor dem Verkauf einer genauen Beschau unterzogen werden konnte. Wenn jeder Metzger selbst in seinem Betrieb schlachtete, war eine umfassende Überwachung und Qualitätskontrolle kaum möglich. In Jülich wurde das Gesetz jedoch bis 1891 nicht beachtet. Erst durch Nachfragen des ebenfalls in Jülich ansässigen Landrats ging der Bürgermeister das heikle Thema eines Schlachthausbaus an. Heikel deshalb, weil die dreizehn damals in Jülich ansässigen Metzger wenig von der Idee eines Schlachthofes hielten. Obgleich sie einräumen mussten, dass eine solche Einrichtung die Qualität der Ware verbessern würde und dafür sorgen würde, dass kein Fleisch von Außerhalb in Jülich zum Verkauf käme, was nämlich erst recht schwer zu kontrollieren war.

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In der Folge wurde eine Kommission gegründet, die den Schlachthausbau betreuen sollte. Rasch einigte man sich auf ein Grundstück am Ellbach, und im Dezember 1891 lagen die Baupläne des Architekten Dietzler vor, der bereits Erfahrungen beim Schlachthofbau in Düren gesammelt hatte. Der Kostenvoranschlag ging von 50.500,- Mark aus. Die Stadt als Träger der Baumaßnahme bemühte sich um Informationen über die Errichtung und den Betrieb von Schlachthöfen, indem sie zwölf andere Kommunen anschrieb und diese jeweils um einen Erfahrungsbericht bat. Schließlich wurde am 27. Juli 1892 der Grundstein gelegt. Die Urkunde zur Grundsteinlegung wurde mit dem Sinnspruch „Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis“ überschrieben. Den Bau finanzierte man über einen Kredit, den man bei der Sparkasse in Billerbeck mit einer Verzinsung von 4 % aufnahm. Bereits am 4. April 1893 konnte der Schlachthof eröffnet werden. Zwei Stellen richtete man mit entsprechender Dienstwohnung ein, die des Schlachthofvorstehers und die des Schlachthofwärters. Erster Vorsteher wurde der Tierarzt Dr. Karl Hubert Bützler, dem die Aufsicht und Untersuchung des zu schlachtenden Viehs oblag, Wärter wurde der Jülicher Metzger Josef Droemont, der daraufhin seine eigene Metzgerei schloss. Von den dreizehn Jülicher Metzgern war Nathan Binnes jüdischen Glaubens und beantragte im Schlachthof schächten zu dürfen, was ihm auch erlaubt wurde.

Die Bilanz nach dem ersten Betriebsjahr war sehr positiv: alleine 1289 Schweine waren geschlachtet worden. Da man die Schlachthalle im Hinblick auf Großvieh zu klein bemessen hatte, musste man schon 1893 mit einem Erweiterungsbau beginnen, der 1894 in Betrieb ging. Dafür wurde der bei der Sparkasse Billerbeck aufgenommene Kredit auf 67.000,- Mark erhöht. 1904 wurden ca. 2000 Kälber, 1500 Schweine, 1000 Rinder und 700 Schafe geschlachtet. Die technischen Einrichtungen wurden anfangs mit Kohle und Gas betrieben, um 1910 fand die weitgehende Umstellung auf Elektrizität statt. Wichtig war vor allem die Dampf-Kühlmaschineneinrichtung, mit der u.a. Eis produziert wurde, um das Fleisch frisch zu halten.

In den 1960er Jahren empfand die Stadt Jülich den Schlachthof wegen des erheblichen Kostenaufwands für den Bauunterhalt nur noch als Belastung. Schon damals kam die Idee auf, das Gebäude aufzugeben. Dagegen wehrten sich die Jülicher Metzger, die am 1. Januar 1972 den Schlachthof in Eigenregie übernahmen. Tatsächlich konnte die „Vereinigung der Metzger“ lange Jahre den Betrieb kostendeckend aufrechterhalten. Der Metzger Horst Schagen, der 1980 eine informative Broschüre zur Geschichte des Jülicher Schlachthofes herausbrachte, gibt für 1978 folgende Zahlen an: 17241 Schweine, 1158 Bullen, 276 Rinder, 570 Kühe, 49 Schafe, 11 Kälber. Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen: Der 1893 am Stadtrand errichtete Schlachthof lag inzwischen mitten in der Wohnbebauung von Aachener Straße und Kuhlstraße. Ich selbst bin in unmittelbarer Nähe zum Schlachthof groß geworden und konnte von den Fenstern meines Kinderzimmers ungehindert dem morgendlichen Treiben auf dem Gelände und, wenn die großen Tore offen standen, im Innern des Schlachthauses folgen. Die Geräusch- und Geruchskulisse war mitunter schwer erträglich.

Drei Entwicklungen führten zum Ende des Schlachthofes: Da war einmal der sich schon 1980 abzeichnende Prozess der Monopolisierung, der die Rentabilität kleiner Höfe, wie des Jülichers, in Frage stellte. Da waren zum anderen die sich verschärfenden Auflagen zum Betrieb eines Schlachthofes, die an einem Standort wie dem Jülicher kaum umzusetzen waren. Und schließlich drittens nahm die Zahl selbstständiger Metzger, die den Schlachthof hätten nutzen können, kontinuierlich ab. Aktuell gibt es von einstmals vierzehn nur noch drei eigenständige Betriebe in der Jülicher Innenstadt.

Schon 1997/98 war ein Teil des Geländes vom Schlachthof abgetrennt worden, um im Hinblick auf die Landesgartenschau eine direkte Grünverbindung von der Kuhlstraße Richtung Ellbachstraße zu schaffen. Nach dem Abriss des Hauptgebäudes 2004 entstanden auf dem frei gewordenen Areal das Bildungshaus des Evangelischen Kirchenkreises Jülich (Peter-Beier-Haus) und das Stammhaus Jülich, eine Wohngemeinschaft junger Erwachsener mit unterschiedlichen Behinderungen. Nur für den Kundigen erinnert noch eine Mauer, die das Stammhaus von einem daneben errichteten Supermarkt trennt, an die über einhundertjährige Geschichte des Areals als Standort des städtischen Schlachthofes.

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Guido von Büren
Eine echte Muttkrat und mit unbändiger Leidenschaft für Geschichte und Geschichten, Kurator mit Heiligem Geist, manchmal auch Wilhelm V., Referent, Rezensent, Herausgeber und Schriftleiter von Publikationen, Mitarbeiter des Museums Zitadelle und weit über die Stadtgrenzen hinaus anerkannter Historiker, deswegen auch Vorsitzender der renommierten Wartburg-Gesellschaft

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